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Das Dilemma des mündigen Athleten

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Tobias Oelmaier
16. Dezember 2019

Mesut Özil hat sich via Twitter mit den Uiguren solidarisiert - und China damit verärgert. Die Aufregung um Özils klare Kante zeigt vor allem eins, meint Tobias Oelmaier: Sportstars stecken in einem echten Dilemma.

Bild: picture-alliance/dpa//Bildbyran/Zuma Press/V. Wivestad

Was macht ihn aus, den idealen Sportler, was macht sie aus, die ideale Sportlerin? Natürlich: der sportliche Erfolg. Aber inzwischen reicht dieser nicht mehr. Ein gutes Aussehen schadet sicher nicht, wenn man es zum Superstar bringen möchte. Personality, Ausstrahlung, ein lockerer Spruch hier, ein nettes Lächeln da. Und natürlich Millionen Follower bei Instagram, Facebook und Twitter. Damit wäre er/sie schon fast perfekt.

Das i-Tüpfelchen ist eine klare Kante. Ein Sportler mit eigener Meinung, einem echten Profil, das Medien und Fans schätzen. Alle fordern den mündigen Athleten, der etwas zu sagen hat. Sei es über den Trainer, über die Taktik, den Verband, über die Gegner oder eben auch zu politischen Themen. Das gilt vor allem dann, wenn Athletinnen und Athleten zu einem Sportereignis aufbrechen, das in einem Land stattfindet, in dem - zumindest aus westlicher Sicht - Demokratie, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit missachtet werden. Dann sollen Sportler nicht nur siegen, sondern auch politisch Position beziehen können. 

Die Kraft der Prominenz

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Authentisch ist das, wenn es aus tiefster Überzeugung geschieht. So wie beim Black-Power-Protest der afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko, bei Muhammad Ali und seinem Kampf gegen den Vietnamkrieg der USA und für Bürgerrechte, bei der australischen Sprinterin Kathy Freeman, die 1994 auf der Laufbahn auf die Diskriminierung der Ureinwohner auf ihrem Kontinent aufmerksam machte. Oder die jüngsten prominenten Beispiele: der Footballer Colin Kaepernick mit seinem Protest gegen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA oder die US-Fußballerin Megan Rapinoemit ihrem Aufruf gegen Rassismus. 

Sie alle traten ein für eine Sache, die ihnen wichtig ist und die weit über den Sport hinausreichte. Sie weckten damit aber unbeabsichtigt auch Erwartungen, dass sich auch andere Sportler Kraft ihrer Prominenz stark machen für die Schwachen und Unterdrückten. Längst sollen sich Fußballer zu Menschenrechtsverletzungen in Russland oder Katar äußern, da sollen Leichtathleten oder Ruderer die politische Situation in China oder die sozialen Ungerechtigkeiten in Brasilien bewerten. Egal, wie gut sie drin sind im Thema. Egal, wie viel Ahnung sie von gesellschaftlichen Zusammenhängen, von der großen Politik haben.

Sport, wo die Politik versagt

Mal gelobt, mal kritisiert - Mesut Özil ist eine schillernde Figur des SportsBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Der Sport, so scheint die allgemeine Erwartungshaltung, soll da ansetzen, wo die Politik versagt. Geschäfte mit China? Gerne, wenn sie unserer Wirtschaft dienen. Aber das IOC verurteilen dafür, dass es die Olympischen Spiele nach Peking vergibt. Eine zweite Ostsee-Pipeline von Russland nach Europa? Klar, der Energiehunger der modernen Gesellschaft will ja gestillt werden. Aber Schande über die FIFA dafür, dass sie die Fußball-WM 2018 in Russland hat stattfinden lassen.

Blöd nur, wenn sich ein Sportler so einlässt, wie es nicht dem aktuellen Mainstream entspricht. Womit nicht rassistische, menschenverachtende Kommentare gemeint sind. Die sind definitiv zu verurteilen und zu unterlassen. Aber nehmen wir nur das Beispiel Mesut Özil. Was herrschte in Deutschland für eine Aufregung, weil der Weltmeister kurz vor der WM 2018 mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auf einem Foto posierte, ihn später sogar zu seinem Trauzeugen machte. Einen Mann wohlgemerkt, der das politische Mandat durch seine Bevölkerung hat, das Land zu führen. Man mag das für gut halten oder nicht. Die Empörung war groß und sorgte für das Ende der Nationalmannschafts-Karriere des gebürtigen Gelsenkircheners und für übles Nachkarten auf allen Seiten - von ihm selbst, von den Medien, vom Verband, von den Fans.

Özil - so richtig und doch wieder falsch

Nun hat sich Özil wieder geäußert. Er hat über einen Tweet das "Schweigen der muslimischen Brüder" im Zusammenhang mit der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren durch die chinesische Regierung angeprangert. Damit steht er - nach unserer allgemeinen (westlich-freiheitlich-demokratischen) Auffassung diesmal definitiv auf der richtigen Seite. Die Reaktionen aus China ließen nicht lange auf sich warten. Die Global Times, des Sprachrohr der chinesischen Kommunistischen Partei, warnte den FC Arsenal vor "ernsthaften Folgen" und bezeichnete Özil als Verwirrte und rücksichtslose Person". Die Live-Übertragung der Premier-League-Partie zwischen Özils FC Arsenal und Manchester City wurde kurzerhand aus dem Programm genommen.

Viel schlimmer aber ist der Umgang des FC Arsenal mit dieser Situation. Der hat sich nämlich von Özils Tweet schnell distanziert. Es handele sich um die persönliche Meinung des Spielers, schrieb der Klub auf dem chinesischen Mikroblogging-Dienst Weibo. Warum diese wachsweiche Formulierung? Klar, weil Arsenal unter anderem an eine Restaurantkette in China beteiligt ist und weil man auch sonst - wie so viele europäische Konkurrenten auch - auf die Auslandsvermarktung im riesigen Reich der Mitte setzt. Man merke also: Sportler dürfen eine Meinung haben. Sie dürfen sie auch gerne äußern. Nur weh tun darf sie nicht. Zumindest dann nicht, wenn es wirtschaftliche Interessen berührt.

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