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Mit Österreichs Obergrenze fällt der nächste Dominostein

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
20. Januar 2016

Nach Schweden drosselt nun auch Österreich die Aufnahme von Migranten. Wenn auch Deutschland diesen Schritt geht, führt das möglicherweise zu einer kalkulierten Katastrophe auf der Balkanroute, meint Bernd Riegert.

Bild: Fotolia/Grischa Georgiew

Österreich zieht die Notbremse und führt eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen ein. Das ist erst einmal politische Kosmetik. Viel wichtiger ist, dass gleichzeitig die Grenzkontrollen nach Slowenien verstärkt werden. Alle Asylsuchenden sollen vor der Weiterreise nach Österreich anders als bisher registriert und überprüft werden. Nur Asylsuchende, die nach Deutschland oder Österreich wollen, sollen durchgelassen werden. Alle anderen, die zum Beispiel nach Schweden oder Dänemark streben, will man zurückweisen. Ob diese Maßnahmen dazu führen, dass die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden die Obergrenze tatsächlich nicht übersteigt, weiß heute niemand, auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann nicht.

Die verstärkten Grenzkontrollen haben aber zwei Effekte: Zum einen bringen sie innenpolitische Erleichterung für Faymanns große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, denn die Mehrheit der Österreicher will ein Ende der "Willkommenskultur". Zum anderen setzt die verstärkte Zurückweisung von Asylsuchenden an den Grenzen die übrigen Länder auf der Balkanroute, vor allem die Ankunftsländer Griechenland und Italien unter massiven Druck. Sie sollen gezwungen werden, so denkt sich das der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, die EU-Außengrenzen besser zu schützen, um Flüchtlinge und Asylbewerber abzuschrecken. Das ist Flüchtlingspolitik mit der Brechstange, da das Bemühen, die Krise in den üblichen EU-Bahnen zu meistern, wohl offenbar kurz vor dem endgültigen Scheitern steht.

Auch Deutschland wird eine Grenze ziehen

Österreich kann mit Recht darauf verweisen, dass Schweden keine Flüchtlinge mehr aufnimmt und Deutschland ebenfalls verstärkt Flüchtlinge und Asylsuchende an der bayrisch-österreichischen Grenze zurückweist. Bundeskanzler Faymann hat seinen Schritt hin zu Grenzkontrollen und rechtlich fragwürdigen Obergrenze eng mit Bundeskanzlerin Merkel abgesprochen. Die deutsche Regierungschefin, die harscher Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik aus der eigenen Partei ausgesetzt ist, hat also nichts gegen Österreichs Obergrenze. Da wird es nicht mehr lange dauern, bis auch sie eine Wende in ihrer Politik einleiten wird. Am Ende kann sie argumentieren, dass Deutschland die Herausforderung nicht alleine wird meistern können. Schweden hat sich bereits verabschiedet, Österreich ist dabei. Also bliebe als einziges nennenswerte Aufnahmeland in der zutiefst unsolidarischen EU noch Deutschland übrig. Das hält selbst Angela Merkel auf Dauer nicht durch.

Wenn in acht Wochen keine nennenswerten Erfolge bei der Umverteilung auf europäischer Ebene oder bei der Drosselung des Zustroms durch Zusammenarbeit mit der Türkei zu verzeichnen sind, dann wird Deutschland wohl dem Modell Österreichs folgen. In Deutschland wird die große Koalition die Begrenzung der Flüchtlingsaufnahme nicht Obergrenze nennen, weil dieser Begriff von der bayrischen CSU zu lautstark verwendet worden ist. Man wird sie Richtwert, Zielwert oder sonst wie beschönigend taufen. Der amtierende Ratsvorsitzende der EU, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, spricht bereits von einem Plan B, falls das bisher erdachte System aus Hotspots, Umverteilung und Sicherung der Außengrenzen nicht endlich sichtbar ans Laufen kommt. Dieses Ziel noch in der gesetzten Frist von acht Wochen zu erreichen, scheint angesichts der zerstrittenen Staats- und Regierungschefs in der EU eher unwahrscheinlich.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Gewolltes Chaos zwischen Griechenland und Österreich?

Wenn also nach Österreich auch Deutschland seine Aufnahmebereitschaft deutlich reduzieren würde, was passierte dann auf der Balkanroute und an den Grenzen der doch eigentlich grenzenlosen Schengen-Zone? In den westlichen Balkanstaaten und Griechenland könnte es zu einem gewaltigen Rückstau der Flüchtlinge, Asylsuchenden und Migranten kommen. Das wäre dann eine kalkulierte Katastrophe mitten in Europa für Tausende Menschen. Serbien hat bereits angekündigt, Flüchtlinge nicht mehr durchzulassen. Das Kalkül vieler Verantwortlicher von Schweden bis Italien ist wohl, dass die EU so unattraktiv für Flüchtlinge und Asylsuchende wird, dass sie erst gar nicht versuchen, ihr Ziel zu erreichen. Europa würde vor dem Andrang kapitulieren und seine Menschlichkeit, seine Barmherzigkeit verlieren. Innerhalb der EU würden Grenzen mit systematischen Kontrollen wieder dauerhaft Bestand haben müssen. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Re-Nationalisierung wären immens.

Die Obergrenze löst das Problem nicht, sondern verlagert es aus dem Zentrum Europas an die Ränder, dorthin, wo die Flüchtlinge ankommen. Auf die Frage, was passieren soll, sobald die Obergrenze gerissen wird, antwortet die österreichische Innenministerin: Internierungslager. Kann das die Konsequenz sein, dass Tausende Männer, Frauen, Kinder gegen ihren Willen an Grenzen in Europa festgehalten werden? Das darf doch nicht die letzte Antwort auf die Flüchtlingsfrage sein. Haben wir wirklich keine bessere?

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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