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Politik

"Nafri" - Wort und Wirklichkeit

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
5. Januar 2017

Die Debatte um den Kölner Polizeieinsatz an Silvester hat eine überraschende Wendung genommen. Debattiert wird mehr über ein Wort als über die Wirklichkeit, meint Kersten Knipp.

Bild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Die Silvesterkracher waren kaum verklungen, da stand schon ein Kandidat für das Unwort des Jahres fest. Der "Nafri", übersetzbar entweder als "nordafrikanischer Intensivtäter" oder, schlichter und neutraler, nur als "Nordafrikaner". Woran auch immer die Kölner Polizisten denken mögen, wenn sie den Begriff verwenden, auf jeden Fall stößt der "Nafri" eine interessante Frage an - nämlich die, was denn nun beunruhigender sei: das Wort oder die Wirklichkeit, die Erfahrung, die es beschreibt.

Angestoßen hat diese sprachphilosophische Debatte die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter. Der Begriff sei "völlig inakzeptabel", da eine "herabwürdigende Gruppenbezeichnung", erklärte sie, kaum dass die Beamten nach langer Nachtwache nach Hause gekehrt waren. Mit ihrer Bemerkung schaffte es Frau Peter, die seit Wochen köchelnde Diskussion um die Kölner Silvesternacht völlig neu zu gewichten: Im Zentrum standen nicht mehr die Phänomene, sondern die ihnen gewidmete Sprache.

Offene Fragen ...

Schaut man aus der öffentlichen in die halböffentliche Debatte, wie sie seitdem etwa auf der Facebook-Seite von Frau Peter geführt wird, hält der absolut überwiegende Teil der Beteiligten die Neugewichtung für eher unangebracht. Der Tenor ist eindeutig: Die Erörterung der Ereignisse hat Vorrang vor der stilistischen Ausschmückung. 

Mehr als am Begriff des "Nafri" stoßen sie sich am Verhalten der so Bezeichneten. Zum Beispiel daran, dass sie das zwanglose Beieinander in Hunderterstärke ausgerechnet an einem Ort und zu einer Stunde suchten, die es durch die Ereignisse des Vorjahres zu einer gewissen Einschlägigkeit gebracht haben.

DW-Autor Kersten Knipp

Was, würden die Besucher von Frau Peters Seite gerne wissen, trieb die mutmaßlichen Nordafrikaner an, sich in so massiver Zahl am Hauptbahnhof zu versammeln. Wussten sie schlicht nicht, dass sie auf so geballte Polizeipräsenz stoßen würden? Oder hatten sie es auf eine Machtdemonstration, vielleicht sogar Machtprobe angelegt?

... und beunruhigende Antworten

Beide Möglichkeiten legen Schlussfolgerungen nahe, die beunruhigend sind. Entweder sind die jungen Männer intellektuell, kulturell und psychologisch von Deutschland so weit entfernt, dass sie nicht einmal eine zentrale Debatte hierzulande mitbekommen haben - eine Debatte zudem, in der sie selbst die Hauptrolle spielen. Trifft diese Vermutung zu, ließe sie die Resultate bisheriger Integrationsbemühungen als bestenfalls überschaubar erscheinen.

Oder aber legten es die Versammelten, wie im Vorjahr, bewusst auf Krawall an? Das aber hieße, man hätte Gäste im Land, die es mit ihren Gastgebern nicht gut meinen.

Rassismus unter umgekehrten Vorzeichen

Wenn sie es aber doch gut meinten, stellt sich die Frage, warum sie noch nicht einmal die einfachsten Überlegungen anstellten: etwa die, ob ihre Gastgeber, die Deutschen, es nicht irritierend finden könnten, wenn sie, die Gäste, ausgerechnet da massiv wieder auftauchen, wo sie exakt ein Jahr zuvor zugeschlagen hatten. Wer meint, den Gästen solche Überlegungen nicht zumuten zu dürfen, handelt rassistisch unter umgekehrten Vorzeichen. Denn er traut den jungen Fremden nicht einmal simpelste Einsichten zu.

Möglich wäre aber auch, dass alles ganz anders, viel harmloser war als angenommen. Vielleicht wollten die Nordafrikaner ja einfach nur feiern, so wie alle anderen auch? Mag sein. Mag allerdings auch nicht sein. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage hätte nur das riskante Experiment eines vorläufigen polizeilichen Laissez-faires bedeutet. Hätte man das den Bürgern, nach den Erfahrungen des Vorjahrs, zumuten dürfen? Viele Facebook-User äußern sich dieser Idee gegenüber eher zurückhaltend, um es verhalten zu formulieren.

Der Preis der Menschenrechte

Deutschland testet derzeit seine Normen neu aus: die sprachlichen, die sicherheitstechnischen und auch jene, die, mit Mut zum Pathos formuliert, mit einer Art Weltethos zu tun haben. Dazu gehört etwa die Frage, welchen Preis die Deutschen - Stichwort sichere Herkunftsländer - für die uneingeschränkte Wahrung der Menschenrechte im Maghreb zu zahlen bereit sind. Nach "Köln" und, in ganz anderer Dimension, "Berlin", scheint vielen Bürgern, ihren Beiträgen in der Halböffentlichkeit von Facebook & Co nach zu urteilen, dieser Preis etwas hoch. Sie halten es nicht für zu viel verlangt, dass die von ihnen gewählten Volksvertreter sich im Zweifel erst einmal um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung kümmern.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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