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Politik

Nahöstliche Ohnmacht in Brüssel

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
15. Mai 2018

Die Amerikaner fallen als Vermittler aus und deswegen sei nun die EU gefordert, heißt es vielfach. Nach der jüngsten Gewalt in Israel und Gaza klingt das gut. Hat aber mit der Realität wenig zu tun, meint Bernd Riegert.

"Reise nach Jerusalem" heißt das beliebte Kinderspiel, bei dem nur weiter mitspielen darf, wer einen Platz erkämpftBild: Fotolia/Mirko Raatz

Früher waren die USA einmal bemüht, im Nahen Osten zu vermitteln, und genau wie die Europäer darauf aus, eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und die Palästinenser zu ermöglichen. Die USA und die EU saßen sogar zusammen im sogenannten Nahost-Quartett und traten gemeinsam auf. Das ist spätestens mit der Hau-Drauf-Politik von US-Präsident Trump vorbei. Ihn interessiert weder die Beteiligung Europas an der Nahost-Politik noch die Haltung der EU. Er hat sich ganz auf die Seite der Hardliner in Israel geschlagen. Trump zündelt an vielen Lunten des Pulverfasses Nahost, er verschärft die Spannungen, indirekt facht er auch die Gewalt zwischen verblendeten Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften an, die es an Verhältnismäßigkeit mangeln lassen.

Drei unmögliche Optionen

Was kann die Europäische Union, die im Nahen Osten politisch seit jeher im Windschatten der USA unterwegs war, nun tun? Was will sie überhaupt tun?

Die EU könnte sich auf die Seite der Trump'schen Brachial-Diplomatie stellen. Dann würden die Palästinenser sich noch weiter radikalisieren. Eine Beruhigung der Lage oder gar ein Friedensprozess wären auf Jahre hinaus unmöglich.

Die EU könnte sich auf die Seite der gemäßigten Palästinenser stellen und ihre Verbindungen zu Israel kappen. Die Aussicht auf eine Ende der Gewalt wäre ebenfalls nicht in Sicht. Außerdem würde das auch das Ende der traditionellen transatlantischen Freundschaft beschleunigen. Und eine direkte Konfrontation mit Trump.

Die EU könnte sich ganz aus dem Nahen Osten zurückziehen und das Feld komplett den Scharfmachern überlassen. Das würde den nationalistischen Populisten von Polen bis Italien gefallen. Motto: Mein Land zuerst. Der Rest ist mir gleich.

Alle drei Varianten wären nicht klug, zumal die EU sich auch niemals einstimmig auf die eine oder die andere Position verständigen könnte. Ein Teil der EU-Staaten neigt bereits heute eher den Palästinensern zu, ein anderer Teil Israel. Es bleibt also nur der möglichst neutrale Mittelweg, der konsensfähig war, bis das Trampel Trump die Weltbühne betrat. Die Europäer haben keine andere Wahl, als sich um Ausgleich zu bemühen.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Weiter so?

So wird die EU weiter tun, was sie seit Jahrzehnten tut: Zahlen. Der größte Teil der Hilfen für Palästinenser innerhalb und außerhalb der besetzten Gebiete stammt aus der Schatulle der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten. Diese Zahlungen nimmt die EU nicht aus reiner Barmherzigkeit vor, sondern sie sind natürlich auch Druckmittel im Schachspiel Nahost. Der Palästinenser-Präsident behauptet zwar, er lasse sich mit Hilfsgeldern nicht erpressen. Aber Einfluss haben diese Milliarden allemal. Ohne sie würden der Gaza-Streifen und das Westjordanland bald zusammenbrechen. Deshalb hat auch Israel ein Interesse daran, dass die EU ihre Rolle als schweigsamer, nicht besonders aufmüpfiger Spender weiterführt. Ohne Geld aus Europa und von den Vereinten Nationen würde Israel die Aufgabe zufallen, als Besatzungsmacht auch für die Wohlfahrt der Besetzten zu sorgen.

Geld als Druckmittel setzt auch Donald Trump unverfroren ein. Er streicht die US-Beiträge für die Palästinenserhilfe zusammen und verlässt sich keck darauf, dass die Europäer die Menschen schon nicht verhungern lassen werden.

In dieser verfahrenen Lage kommen Versuche, sich von den USA in der Nahostpolitik abzunabeln, spät - vielleicht zu spät. Streitet die EU jetzt an der Seite des Iran für den Atom-Deal, stellt sie sich automatisch gegen die USA und Israel. Eine politische Rolle im Nahost-Konflikt wird sie so nie erreichen. Wenn aber Donald Trump mit seiner verantwortungslosen Politik die Spannungen weiter anheizt, sind die Sicherheitsinteressen der Europäer unmittelbar berührt. Ein weiterer Krieg im Nahen und Mittleren Osten oder eine weitere Intifada würden sicherlich zu mehr Terrorangriffen in Europa sowie einer weiteren Flüchtlingswelle führen.

Europa ohne Macht

Ein eigenständiger von den USA unabhängiger Spieler im Nahen Osten könnte die EU nur mit einem geeinten politischen Willen und einer großen Militärmacht im Rücken werden. Denn am Ende gewinnt Autorität nur der, der auch in der Lage ist, seine Forderungen gegebenenfalls auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Darum sind die USA im Nahen Osten so unverzichtbar: Weil sie die militärischen Fähigkeiten haben, notfalls einzugreifen. Nicht weil das konzeptlose Wüten von Donald Trump so überzeugend wäre.

Bis aber die EU eine ähnliche Autorität gewönne und militärisch aufgerüstet wäre, würden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Ganz abgesehen davon, dass es für eine solche Politik der Stärke unter den 28 Staaten bis zum heutigen Tag  nicht einmal im Ansatz einen Konsens gibt. Was bleibt, ist wenig hoffnungsvoll: Abwarten.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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