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Nicht verzagen, Deutschland und USA!

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
9. August 2020

US-Außenminister Pompeo kommt nach Europa und macht einen weiten Bogen um Deutschland. Der deutsche Außenminister Maas fährt lieber nach Moskau. Das transatlantische Verhältnis ist auf dem Tiefpunkt, meint Jens Thurau.

Die Risse im transatlantischen Verhältnis sind unübersehbarBild: picture-alliance/Zoonar

Man kann richtig sentimental werden, und die folgende kurze Geschichte klingt tatsächlich, als spielte sie in einer ganz weit zurückliegenden Zeit: Als vergleichsweise junger Reporter war ich dabei, als US-Präsident Bill Clinton 1994 vor dem Brandenburger Tor stand, begeistert umjubelt von tausenden Berlinern: "Alles ist möglich, Berlin ist frei!", rief Clinton den Menschen zu.

Damals passte diese stets nach vorn strebende amerikanische Mentalität zu Deutschland und Berlin. Amerika hatte die Deutsche Einheit maßgeblich mit ermöglicht, Amerika hatte uns die Demokratie gebracht, zunächst nur für den Westen, jetzt für ganz Deutschland. 

Pompeo nicht in Berlin, Maas lieber in Moskau

Nächste Woche kommt US-Außenminister Mike Pompeo nach Europa. Er fährt nach Polen, nach Österreich, nach Tschechien, nach Slowenien. Alles ganz große Freunde Amerikas, hat er schon mal wissen lassen. Deutschland erwähnt er mit keinem Wort.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Stattdessen drohen drei US-Senatoren dem Fährhafen von Sassnitz im Nordosten Deutschlands an der Ostsee mit "vernichtenden" Sanktionen wegen der Beteiligung an dem Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekt, in das sich die Amerikaner so richtig verbissen haben. Und just in der Zeit, in der Pompeo bei seiner Europareise einen großen Bogen um Berlin macht, bricht der deutsche Außenminister Heiko Maas nach Moskau auf. Ausgerechnet nach Moskau. Zur erst zweiten richtig wichtigen Reise außerhalb der EU nach den Corona-Beschränkungen - nur in Israel und Jordanien war er zuvor schon. Von einer Reise nach Washington ist keine Rede. Es ist ein Jammer!

Nichts geht mehr im transatlantischen Verhältnis. Dass mit dem chaotischen, notorisch wütenden US-Präsidenten Donald Trump kein Auskommen ist, gilt schon lange. Die deutsche Regierung bemühte sich deshalb um Kontakte auf unteren Ebenen, konzentrierte sich darauf, halbwegs die Fäden zusammen zu halten für die Zeit danach. Aber längst begreifen die Deutschen, dass nichts mehr so sein wird wie damals, wie 1994, oder noch weiter zurück wie 1963, als John F. Kennedy in Berlin gefeiert wurde wie ein Erlöser.

Gewandelter Blick

Bei den konkreten aktuellen Streitpunkten geht es um den deutschen Verteidigungsbeitrag, der den Amerikanern schon lange zu gering ist. Es geht um den Abzug von amerikanischen Soldaten aus Deutschland -  manche sagen, ein Racheakt von Trump, der sich von Kanzlerin Angela Merkel nicht genug gewürdigt fühlt. Es geht um die erwähnte Gaspipeline aus Russland nach Deutschland. Aber um diese Themen geht es nur vordergründig.

Im Kern geht es um einen gewandelten Blick der Deutschen auf Amerika und der Amerikaner auf Deutschland: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das Land, das mal als "gutmütiger Hegemon" für unsere Sicherheit stand, hat sich abgewandt und blickt in erster Linie nach innen. Oder Richtung Pazifik. Und wir, die Deutschen, schauen angewidert auf die Polizeigewalt in den USA, die notorischen Waffennarren und ihre tausendfachen Opfer, auf die schlimmen sozialen Unterschiede, auf den größenwahnsinnig twitternden Präsidenten, auf die polarisierte Gesellschaft.

Die Gesellschaften brechen auseinander

Wir sollten lieber auf uns schauen. Was gerade in Amerika geschieht, die Leugnung der Pandemie-Gefahr, der Rassismus, die verhärteten innenpolitischen Fronten - alles schlimm. Aber auch bei uns bricht die Gesellschaft immer mehr auseinander, brüllen Populisten und Verschwörungsmystiker laut umher. Und wenn Amerika seinen demokratischen Kern verliert, dann stehen Europa und Deutschland in seinem Zentrum alleine da mit dem, was einst als "westliche Wertegemeinschaft" bezeichnet wurde. Das könnten wir dann wohl nur noch schwer verteidigen. Ist ja nicht so, als wenn in Europa alle vorbehaltlos dem alten amerikanischen Ideal folgten.

Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es gibt sie - in Amerika und Deutschland: Die große Mehrheit, die wie immer schweigt. Die findet, dass Demokratie ein Wert an sich ist und immer noch die beste aller Gesellschaftsformen, bei allen Problemen. Und die findet, dass Amerika und Deutschland gemeinsame Werte haben und sie auch zusammen vertreten sollten. Auch wenn das im Moment gar nicht danach aussieht.

Barack Obama im Juli 2008 in Berlin - vor seiner Wahl zum US-Präsidenten wurde er von 200.000 Menschen bejubeltBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Hoffnungsträger

Wie schnell die Gemeinsamkeit wieder da sein kann, wurde doch deutlich, als nach den bleiernen Jahren unter George W. Bush der junge Senator Barack Obama an der Berliner Siegessäule sprach, vor 200.000 Deutschen. Die alle voller Hoffnung waren, weil sie spürten, dass dieser Mann Präsident werden würde. Und das ist noch nicht so lange her, gerade mal zwölf Jahre. Nicht verzagen, Amerika und Deutschland!

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