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Politik

Orbans Europa

11. Februar 2019

Mit seiner "Rede zur Lage der Nation" hat Viktor Orban den Europawahlkampf in Ungarn eröffnet. Bei der Wahl Ende Mai geht es auch um die Frage, wie viel Orbanismus Einzug in die EU hält, meint Volker Wagener.

Bild: Getty Images/AFP/A. Kisbenedek

Der Mann hat eine Mission. Bislang auf sein eigenes Haus Ungarn begrenzt, das er als Nation und Christenland durch Einwanderer gefährdet sieht, schwingt er sich inzwischen zum Barrikadenführer des europäischen Ostens auf. Und der Feind steht im Westen. Nicht nur geographisch - auch ideologisch. Viktor Orban, starker rechter Mann des ungarischen Zehn-Millionenvölkchens, ist auf Kreuzzug gegen den multikulturellen Liberalismus der Alt-EU. Dessen Symbol schlechthin: der muslimische Einwanderer.

Was er am Sonntag in seiner Rede zur Lage der Nation geladenen Gästen zum Besten gab, kommt einer offenen Kampfansage an den Brüsseler Staatenclub gleich. Als "finale Schlacht" sieht Orban das demokratische Ritual der Wahl eines neuen Europaparlaments. Martialischer geht es kaum. Man sollte nicht meinen, dass der starke Mann aus Budapest Stimme und Hand gegen die eigene Familie erhebt.

Das etwas andere Demokratieverständnis

Brüssel - vor dem Mauerfall gelobtes Land des gesamten europäischen Ostens - sieht er nun als "neue Hochburg der Internationalen" und ihr Mittel sei die Einwanderung. Genau daran arbeitet sich der 55-Jährige seit Sommer 2015 ab, es ist sein Thema. Gegen Merkels Politik der offenen Tür hat er letztlich gesiegt und seither immer mehr Jünger um sich geschart. Ob in Polen, der Slowakei, in Kroatien oder der Republika Srpska - Orban fasziniert fast überall. Denn gemeinsam ist dem Osten 30 Jahre nach der politischen Zeitenwende ein abgrundtiefes Misstrauen gegen Multikulti, ja, gegen Demokratie im Allgemeinen. Das Recht der Mehrheit, sich gegen Minderheiten auch rustikal durchzusetzen, ist das Erkennungszeichen von Orbans "illiberaler Demokratie".                

Mit Babyboom muslimische Unterwanderung bekämpfen

Und Orban kümmert sich um "seine Mehrheit". "Wir wollen ungarische Babys", rief Orban seinen Gästen zu. Das will er sich was kosten lassen. Frauen unter 40 sollen bei Heirat rund 30.000 Euro Kredit bekommen, den sie nach dem dritten Kind nicht mehr zurückzahlen müssen - damit will er "ungarische Identität und christliches Erbe verteidigen."

DW-Europa-Redakteur Volker Wagener

Man mag das Phänomen Orban in München, Brüssel oder Paris für ein niedliches folkloristisches Schauspiel auf der eher menschenfernen und langweiligen EU-Politbühne wahrnehmen. Doch richtig ist: Orban würde überall in Europäisch-Ost/Südost gewählt werden. Er verkörpert den neuen Homo Politicus aus der geographischen Ost-Konkursmasse des Kalten Krieges. Das verzückte Staunen über die historische Stunde, die vor 30 Jahren dem "Ostblock" die Freiheit bescherte, ist abgehakt. Die größten Wirtschaftsprobleme sind im Griff - nicht zuletzt aufgrund sprudelnder Milliardenquellen aus den "Brüsseler Fleischtöpfen". Nun soll Brüssel östlicher werden und nicht mehr nur der Osten westlich.           

Orban, der Chef der EU-Ostfiliale

Denn Orban ist längst kein rein ungarisches Phänomen mehr. "Er ist unser Anführer", gesteht der polnische PiS-Chef und Orbans ideologischer Zwilling, Jaroslaw Kaczynski, dem Ungarn zu. Längst ist der Einfluss der vier Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) auch außerhalb des losen Staatenbündnisses messbar. Österreich sympathisiert, Slowenien auch - von den starken rechtspopulistischen Strömungen in West- und Südeuropa ganz zu schweigen.

Die EU hat es längst mit einer Blockbildung im eigenen Haus gegen die Zentrale zu tun. Das anfangs nicht ganz ernst genommene Visegrád-Quartett strebt nach Einflusserweiterung. Der Westbalkan ist im Visier, die Ukraine auch.   

Die "illiberale Fraktionierung" gegen die Alt-EU wächst - und das nicht mehr nur in der Einwanderungspolitik. Der Nationalstaat gilt im Osten als höchste Errungenschaft, ein "Reinreden" der EU-Kommission - wie beispielsweise bei der polnischen Justizreform - kommt den EU-Neumitgliedern einem Anschlag auf ihre Souveränität gleich. Das gilt für alte wie neue ("verspätete") Nationen.               

Hinzu kommt eine klammheimliche bis offene Sympathie für den Typ des östlichen "Demokratur"-Politikers. Putin genießt von der Ostsee bis zur Adria mehr Bewunderung als zwischen Nordsee und Gibraltar. 

"Puszta-Trumpismus" in Budapest

Man sollte sich nicht täuschen in Berlin, Paris und Brüssel: Orban meint es ernst. Längst ist er nicht nur in ungarischer Mission unterwegs, die Renationalisierung und Anti-Liberalisierung infiziert fast überall. Orban will die bisherigen Tabugrenzen zwischen bürgerlichen Konservativen und offen Rechtspopulistischen aufheben. Das ist Kulturkampf pur auf gesamteuropäischer Bühne. Die Le Pens, Wilders und Salvinis wären nicht mehr die peinlichen politischen Outlaws, sondern eng umschlungen von der Straßburger EVP-Familie. 

Geistige Anleihen für Planspiele zur Übernahme der politischen Interpretationshoheit in der EU holt sich der starke Mann von Budapest regelmäßig von Steve Bannon. Der frühere Einflüsterer von Donald Trump gilt als Vater der totalen Dekonstruktion des Staates. Mit der Demokratie als Schutzraum für Minderheiten wäre es dann vorbei. Illiberalität wäre das Dogma. Und Bannon war 2018 gleich drei Mal zu Gast bei Orban.

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