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Orbans Zaun veränderte Europa

14. September 2016

Vor einem Jahr wurde der Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze fertiggestellt. Viktor Orban wollte verhindern, dass Flüchtlinge nach Ungarn kommen. So begann das Ende der EU, wie wir sie kannten, meint Zoran Arbutina.

Bild: DW/N. Rujević

Als vor genau einem Jahr die ungarischen Behörden erklärten, dass nun auch das letzte Schlupfloch geschlossen und der Zaun an der Grenze zu Serbien fertiggestellt sei, konnte jeder sehr anschaulich sehen, worum es in Europa in diesen Tagen ging: Während einerseits der ungarische Regierungschef Viktor Orban eifrig daran arbeitete, Europa in eine Festung zu verwandeln, staunte die Welt andererseits über die Bilder aus Deutschland. Tausende Menschen hießen an Bahnhöfen mit Blumen und Teddybären zehntausende Flüchtlinge willkommen. Und Kanzlerin Merkel gab der Politik eine ethische Dimension mit den Worten: "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."

Es ging in diesen Tagen natürlich um die Flüchtlinge: um Menschen, die vor den Kriegen in Syrien, Afghanistan oder dem Irak Zuflucht in Europa suchten, sowie um die weiteren Hundertausende, die durch Armut, Hunger oder Verfolgung in ihren Heimatländern in die Flucht getrieben wurden. Es ging aber auch um die Frage: In welchem Europa wollen wir leben?

Ein offenes Europa

Jahrzehntelang war die europäische Antwort auf fast jede Krise innerhalb und auch außerhalb der EU das gleiche Mantra: Wir brauchen mehr Europa! Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von einst wuchs von Jahr zu Jahr immer enger zusammen, wurde zu einer Union, mit einem gemeinsamen Markt, einer gesetzgebenden Kommission und einem immer stärker werdenden Europäischen Parlament. Sogar eine europäische Verfassung war zeitweise in der Arbeit. Man bastelte an einer gemeinsamen europäischen Außen-, Verteidigungs- und Sozialpolitik. Und, sehr wichtig: In großen Teilen der EU gab es keine Grenzen mehr! Der freie Verkehr von Menschen und Waren wurde zum Prinzip - und man war stolz darauf. Es war die Rede vom "gemeinsamen Haus Europa" und vom "Schengen-Raum ohne Grenzen".

Als Merkel entschied, die Flüchtlinge unter Missachtung aller bestehenden Regeln ins Land zu lassen, handelte sie aus diesem europäischen Selbstverständnis. Sie lebte aktiv die Werte, dass die EU eine offene Gesellschaft ist und außerdem den Flüchtlingen gegenüber Verpflichtungen hat, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den eigenen Ansprüchen ergeben. Und sie setzte auf die europäische Solidarität.

Renationalisierung der europäischen Politik

Das Gegenkonzept zu Merkel lautet: so wenig Europa wie möglich, so viel wie nötig. Darüber hinaus will man frei handeln, gemäß dem Motto "Jeder ist sich selbst der Nächste". Die gemeinschaftliche europäische Politik soll nach diesem Konzept wieder renationalisiert werden. Europa ist nur gut, so lange es nützlich ist - vor allem wirtschaftlich.

Konsequent sagte Orban schon damals ganz klar, was er anstrebt: Am gleichen Tag, an dem Merkel über die Menschlichkeit sprach, für die sie sich nicht entschuldigen will, kündigte Orban neue Zäune an - auch an den Grenzen zu EU-Partnern wie Rumänien und Kroatien. Die Idee von "Schengen" war damit kein unverrückbarer Grundsatz mehr, sondern nur noch eine unverbindliche Möglichkeit, die man nutzt oder eben nicht - wie es gerade passt.

DW-Redakteur Zoran Arbutina

Ein Jahr später ist klar, dass Orban mit seiner Politik nicht alleine im europäischen Haus ist. Inzwischen gibt es Zäune quer durch Europa: Slowenien hat einen an der Grenze zu Kroatien gebaut, Österreich kündigte einen an der Grenze zu Italien an, Bulgarien zäunte die Grenze zur Türkei ein, Mazedonien ließ mit EU-Hilfe einen Zaun an der Grenze zu Griechenland errichten. Gleichzeitig kündigten mehrere Länder - vor allem in Osten Europas - an, bei sich keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Und auf gar keinen Fall Muslime. Europäische Solidarität hier ist nur noch bei der Nutzung der EU-Strukturfonds sichtbar!

Ein "neues Europa"

Aber auch von Merkels ursprünglicher Flüchtlingspolitik ist inzwischen nicht viel übrig geblieben: Die Verbündeten von einst sind ihr abhanden gekommen, innerhalb wie außerhalb Deutschlands. Unter dem Druck der EU-Partner sowie der AfD-Wahlerfolge in Deutschland hat sie ihre Politik stark verändert. Beim Flüchtlingsdeal mit der Türkei ging es vor allem darum, so viele Flüchtlinge wie möglich so weit wie möglich auf Abstand zu Deutschland zu halten. Und mit verschiedenen Gesetzesverschärfungen hat man den Zuzug neuer Migranten erschwert, während die Abschiebung erleichtert wurde. Merkel wird das nie zugeben, aber faktisch hat sich in der EU der Kurs Orbans durchgesetzt - und dadurch auch Merkels Verbleib im Amt möglich gemacht.

Der Kampf um die Seele Europas, der vor einem Jahr symbolisch mit einem Zaun und Blumensträußen für Flüchtlinge geführt wurde, ist inzwischen entschieden: Die Blumen sind längst verwelkt. Damals begann das Ende der EU, wie wir sie lange Zeit kannten. Natürlich wird es die Union weiterhin geben, und sie behält eine große Anziehungskraft auf viele Länder und Menschen weltweit. Es ist aber im Kern eine andere EU - und nur noch zum Teil ist sie das, was Merkel damals als "mein Land" bezeichnete.

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