Die WHO warnt vor dem "Pandemie-Potenzial" des Coronavirus. Dabei gibt es einige Verwirrung über die Einstufung der Seuche. Doch die Weltgesundheitsorganisation hat selbst dazu beigetragen, meint Fabian Schmidt.
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Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat am 27. Februar offiziell vor dem Pandemie-Potenzial der derzeitigen Coronavirus-Seuche gewarnt.
Doch wann erklärt die WHO endlich offiziell den Pandemie-Status? Diese Frage stellen sich viele: Bürger, Ärzte und auch Experten in Gesundheitsämtern und Krankenhäusern. Die Antwort ist: gar nicht. Denn weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die WHO von ihrem bisherigen sechsstufigen Warnsystem verabschiedet. In dem war eine bestimmte Eskalationsstufe noch als "Pandemie" definiert.
Nun ist alles anders: Ob ein Erreger endemisch ist oder sich in Form einer Epidemie oder Pandemie ausbreitet, dürfen Wissenschaftler oder Historiker rückblickend bewerten. Die WHO erklärt nur noch einen Notfallstatus, die Public Health Emergency of International Concern (PHEIC). Das ist die maximale und einzige internationale Warnstufe. Sie gilt seit Ende Januar bereits für COVID-19.
Alle weiteren Eskalationsstufen sind Sache der Gesundheitsbehörden in den jeweiligen Staaten, Ländern oder Regionen.
Die Tatsache, dass selbst Ärzten und Experten, mit denen die Deutsche Welle gesprochen hat, das gar nicht bewusst war, zeigt, dass die Krisenkommunikation der internationalen und nationalen Gesundheitsorganisationen noch deutlich verbesserungswürdig ist.
Behörden müssen nicht alles wissen, aber sich gut vorbereiten
Offensichtlich kochen alle nur mit Wasser. So müssen selbst manche Gesundheitsbehörden ihre Informationen mühsam auf dem gleichen Markt zusammensuchen wie wir Journalisten. Eine deutsche Behörde erkundigte sich beispielsweise bei der DW, woher wir die Zahlen über erkrankte und genesene Patienten weltweit hätten. Die Antwort: von einer renommierten US-Universität.
Über diese scheinbar chaotische Informationslage mag man klagen, aber was hilft das? Besser ist es Verständnis dafür aufzubringen, dass in Zeiten einer so rasanten Virusausbreitung, die Informationen von gestern heute schon wieder überholt sein können.
Und ob das Ganze dann das Attribut "Epidemie", "Pandemie" oder "Pandemie-Potenzial" bekommt, ist letztlich ein Streit um des Kaisers Bart. Einzig wichtig ist, dass die zuständigen Menschen - Ärzte, Pfleger, Gesundheitsbehörden aber auch wir normalen Bürger - vor Ort verantwortlich und richtig handeln.
Und das heißt für die meisten von uns vor allem: Erst einmal auf Geselligkeit in großen Runden verzichten und regelmäßig Händewaschen. Und bei Erkältungs- oder Grippesymptomen lieber zuhause bleiben, als sich aus falschem Pflichtgefühl krank zur Arbeit zu schleppen. Und dann: Nicht direkt zum Hausarzt rennen und Viren in dessen Praxis verbreiten, sondern erst einmal anrufen und telefonisch um Rat fragen.
Nun hat auch Europa sein Wuhan: Die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus in Norditalien stiegen zuletzt so rasant an, dass dort elf Orte abgeriegelt wurden. Die Angst vor einer weiteren Ausbreitung wächst.
Bild: Reuters/G. Mangiapane
Die Zufahrten sind dicht
Insgesamt 52.000 Einwohner wurden in elf Städten und Gemeinden in Norditalien isoliert. Wer in die abgeriegelten Gebiete rein oder aus ihnen raus will, braucht eine Sondergenehmigung. Diese Einsatzkräfte stehen am Ortsrand von Castiglione D'Adda. Wer versucht, die Sperre zu umgehen, dem droht eine "strafrechtliche Verfolgung".
Bild: Reuters/G. Mangiapane
Menschenleere Straßen
Alle Kneipen und Läden im Zentrum der 15.000-Einwohner-Stadt Codogno sind dicht, nur wenige Menschen gehen raus. Noch immer ist unklar, wer das Virus nach Norditalien eingeschleppt hat. Italiens Regierungschefs Giuseppe Conte zufolge gilt die Quarantäne vorerst zwei Wochen lang. Das entspricht der vermuteten Inkubationszeit für die Lungenkrankheit COVID-19, die von dem Erreger ausgelöst wird.
Bild: picture-alliance/Zumapress/C. Furlan
Rasante Entwicklung
Bis Mittwoch waren italienweit nur drei Infektionen bekannt. Am Donnerstag wurde bei einem schwer erkrankten 38-Jährigen in einer Klinik in Codogno das Virus nachgewiesen, dann bei immer mehr Menschen in seinem Umkreis. Auch seine Eltern kamen unter Beobachtung (Foto). Der "Patient Null" ist dieser Mann jedoch nicht. Am Sonntag wurden in der Region mehr als 130 Infizierte gezählt, drei starben.
Bild: picture-alliance/Photoshot
Hamsterkäufe unter Quarantäne
Schlangestehen vor einem Supermarkt im abgeriegelten Ort Casalpusterlengo. Die Kunden werden nur in Gruppen zu 40 Personen eingelassen. "Jeder kommt dran, wir wollen nur Chaos vermeiden und für ausreichenden Schutz sorgen", versucht ein Supermarktmitarbeiter zu beruhigen. Nicht alle Kunden haben dafür Verständnis.
Bild: Reuters/G. Mangiapane
Alles weg
Auch in den nahe gelegenen Großstädten in Norditalien wächst die Angst vor der Ansteckung mit dem Coronavirus. Gel zur Desinfektion und Gesichtsmasken sind in dieser Apotheke in Turin ausverkauft, wie das Schild am Eingang verrät. Dünne Masken, wie sie in OP-Sälen verwendet werden, bieten gegen Viren aber ohnehin nur einen begrenzten Schutz und müssen regelmäßig gewechselt werden.
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Doppelt maskiert
Diesen Maskierten ist die Enttäuschung quasi an den Augen abzulesen: Der berühmte Karneval in Venedig wird abgebrochen, da nützt auch der zusätzliche Mundschutz nichts. Das Fest hat eine jahrhundertealte Tradition und ist ein Touristenmagnet. International bekannt sind die opulenten Kostüme und fantasievollen Masken. Normalerweise hätte Venedig noch bis Dienstag Karneval gefeiert.
Bild: Reuters/M. Silvestri
Catwalk trotz Corona
Nur 60 Kilometer ist Mailand vom stark betroffenen Codogno entfernt. Schon seit Dienstag läuft hier die berühmte Modewoche. Das Modehaus Giorgio Armani präsentierte angesichts der Verbreitung des Corona-Virus die neuesten Modelle in einem leeren Theatersaal, die Schau wurde im Internet übertragen. Für Mitarbeiter gab es Gesichtsmasken. Andere Modeschauen fanden wie geplant statt.
Bild: Reuters/A. Garofalo
Stadion geschlossen
Während die Modehäuser selbst über ihre Schauen entscheiden konnten, wurden alle Sportveranstaltungen in den Regionen Lombardei und Venetien bis mindestens zum 1. März abgesagt. Damit wollen die italienischen Behörden eine noch weitere Verbreitung des Virus eindämmen. Betroffen ist auch das Erstliga-Fußballspiel Inter Mailand gegen Sampdoria Genua.