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Kommentar: Phrasen statt Veränderungen in China

Matthias von Hein 14. März 2006

Mit der Annahme des neuen Fünf-Jahres-Plans ist in Peking die diesjährige Sitzung des chinesischen Volkskongresses zu Ende gegangen. Matthias von Hein kommentiert.

Die Delegierten verlassen die SchlusssitzungBild: AP

Problem erkannt - Gefahr gebannt? Für die chinesische Regierung scheint das nicht zu gelten. In seiner Regierungserklärung zu Beginn des Nationalen Volkskongresses hat Ministerpräsident Wen Jiabao vor zehn Tagen die Problemlage in China mit erstaunlicher Offenheit angesprochen: An vorderster Stelle die wachsende Einkommensschere zwischen Stadt und Land. Aber auch die grassierende Korruption sprach er an, die katastrophale Lage der Umwelt, das völlig unzureichende Gesundheitswesen. Auch in seiner Abschlusspressekonferenz am Dienstag (14.3.2006) tauchten diese Punkte wieder auf, mit deutlich selbstkritischen Tönen.

Stabilität in Gefahr

Ausgerechnet im formal kommunistischen China tut sich eine der weltweit größten Klüfte zwischen Stadt und Land auf. Angesichts der noch immer bestehenden Restriktionen beim Zuzug in die Städte muss man von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft sprechen. Die Unzufriedenheit ist entsprechend groß: im vergangenen Jahr hat es nach offiziellen Angaben an jedem einzelnen Tag landesweit mehr als 200 Protestaktionen gegeben - Erinnerung genug für die Kommunistische Partei (KP), dass hier nichts weniger bedroht ist als die Stabilität des Landes.

Der von den Delegierten des Volkskongresses beschlossene Fünf-Jahres-Plan wird aber dem laut verkündeten Anspruch nicht gerecht, den 800 Millionen Menschen auf dem Land mehr Wohlstand und Gerechtigkeit zu bringen. Die Steigerung der Ausgaben für die ländliche Entwicklung liegt noch unter der Steigerung bei den Steuereinnahmen. Und der Militärhaushalt wächst deutlich stärker.

Halbherzige Programme

Vor allem aber hat der Volkskongress nichts getan, um die rechtliche Lage der Bauern zu verbessern. Sie sind weiterhin schutzlos Beamten und Kadern ausgeliefert, die ihre Posten vor allem als Lizenz zur Selbstbereicherung verstehen. Die geplante Reform des Eigentumsrechts hätte hier eine Bresche schlagen können. Einer der Hauptgründe für die wachsenden Proteste auf dem Land sind ja gerade Landstreitigkeiten. Dabei verschachern Kader öffentliches Land an Firmen; die enteigneten Bauern aber gehen leer aus und müssen zudem mit gesundheitsgefährdender Verschmutzung der Umwelt leben. Eigentumstitel an ihrem Land hätten den Bauern mehr genutzt als halbherzige Entwicklungsprogramme und Phrasen von "der harmonischen Gesellschaft" oder den "neuen sozialistischen Dörfern".

Rückenwind für Reform-Gegner

Aber das bereits vorliegende Gesetz wurde von der Tagesordnung des Volkskongresses genommen. Ein weithin sichtbares Zeichen für eine neu entbrannte Debatte um den zukünftigen Kurs des Landes. Die Gegner der Reformpolitik wagen sich erstmals seit Jahren wieder aus der Deckung. Ermutigt werden sie von groß angelegten Projekten zur Wiederbelebung des Marxismus; durch maoistisch anmutende Kampagnen, mit denen die 75 Millionen Mitglieder der KP Chinas ideologisch auf Linie gebracht werden sollen; durch das Eingeständnis der Regierung, dass die Wachstumspolitik der letzten Jahre zu krassen Ungerechtigkeiten geführt hat.

Jene, die meinen, die Probleme rührten daher, dass die Reformen nicht weit genug gegangen sind, haben zurzeit einen schweren Stand. Zwar hat Wen Jiabao noch einmal betont, dass der Weg der Reformen nicht umkehrbar sei. Die von Chinas Kommunistischer Partei so oft beschworene Stabilität des Landes lässt sich aber nur wahren, wenn diese Reformen am Ende auf Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit hinauslaufen.

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