Politik nach Zahlen?
Es gibt Sätze, in denen das ganze Ausmaß der Brutalität und Grausamkeit des Krieges in Syrien greifbar wird. Sätze wie dieser: "Entweder die Katze stirbt, oder dein Kind." Er habe nie Hunde oder Katzen töten wollen, erzählte mir vor ein paar Tagen Ayham Ahmad, ein Flüchtling aus Jarmuk. Aber er habe einfach kein anderes Essen für seine Kinder finden können: "Also schlachtest du eben eine Katze, damit deine Kinder überleben." Der Pianist ist vor gut einem Monat aus dem palästinensischen Flüchtlingslager südlich von Damaskus geflohen, das seit ein paar Monaten von Islamisten kontrolliert wird. Es fehlt dort an allem: an Essen, an Medikamenten - und vor allem an Hoffnung.
Deutschland - Land der Hoffnung
Und so hat sich Ahmad schließlich auf den Weg nach Deutschland gemacht, auf die Suche nach einem besseren Leben. Kurz: Auf die Suche nach Hoffnung. Wie er strömen immer mehr verzweifelte Syrer, aber auch Iraker und Afghanen nach Deutschland - laut einem "Geheimdokument" aus Behördenkreisen, das das Boulevardblatt "Bild" ausfindig gemacht haben will, werden bis Ende des Jahres 1,5 Millionen Flüchtlinge hier ankommen. Weit mehr also, als die offizielle Schätzung der Bundesregierung, die offiziell noch immer von 800.000 Flüchtlingen ausgeht - auch wenn einzelne Politiker die Zahl längst nach oben korrigiert haben.
Es drohe, zitiert die Zeitung aus dem Papier, ein "Zusammenbruch der Versorgung" der Flüchtlinge, Wohncontainer etwa und sanitäre Einrichtungen für Flüchtlingsunterkünfte seien kaum noch zu beschaffen. Die Bundesregierung wiegelte prompt ab: "Dieses Papier kennt kein Mensch", so der stellvertretende Regierungssprecher am Montag. Deshalb würde er es auch nicht zu hoch ansiedeln. Ein Sprecher des Innenministeriums beschwichtigte ebenfalls: Die Zahlen für September seien tatsächlich sehr hoch. Aber in den Wintermonaten werde sich der Flüchtlingsstrom erfahrungsgemäß verringern. Und überhaupt ließen sich Tages- und Wochenzahlen nicht so einfach hochrechnen.
Es ist nicht verwunderlich, dass die Regierung die Zahlen herunterspielt: Denn in Deutschland kippt die anfängliche Euphorie über die ankommenden Flüchtlinge immer mehr. Aus hochgejubelter "Willkommenskultur" werden nun Forderungen nach einer "Ankommenskultur": Politiker sprechen plötzlich vermehrt von "Obergrenzen", einem besseren Schutz der Außengrenzen, vereinzelt sogar davon, das Grundrecht auf Asyl in Frage zu stellen.
Ende der Euphorie
Vielleicht war die Euphorie der vergangenen Tage naiv. Vermutlich war es unvermeidlich, dass sie eines Tages dem Realismus weichen musste: Denn die vielen Flüchtlinge zu beherbergen, sie mit Kleidung, Essen, einem Dach über dem Kopf zu versorgen, sie zu integrieren und ihnen später auch eine Arbeit zu ermöglichen - kurz: ihnen ein menschenwürdiges Leben zu erlauben, das ihnen in ihren Heimatländern ja allzu oft verwehrt wird - ist natürlich ein Kraftakt. Ein Kraftakt, der viel kostest - Ressourcen, Energien und ja, natürlich auch Geld, das dann vielleicht an anderer Stelle fehlt.
Aber dazu verpflichtet uns unser Grundgesetz, wenn es auch bei manchen das Gewissen scheinbar jetzt nicht mehr tut: Das Recht auf Asyl ist unantastbar und muss es auch blieben. Anstatt also unnötige Zeit und Energie mit der Frage zu vergeuden, ob wir Asyl gewähren und wenn ja, mit welchen Einschränkungen, sollten wir uns lieber fragen, wie wir es tun, ohne Ressentiments und Rassismus zu schüren?
Endlich den Krieg beenden
Gleichzeitig aber muss endlich der blutige Bürgerkrieg in Syrien beendet werden, dem sich die Politik allzu lange nur halbherzig gewidmet hat. Auch das ist ein Kraftakt, der schier unmöglich scheint - aber eine andere Lösung gibt es nicht. Denn letztlich wollen die Menschen, die heute um Asyl bitten, wieder nach Hause. Ich habe noch keinen syrischen Flüchtling getroffen, sei es in Kairo, Dortmund oder Berlin, der nicht irgendwann wieder nach Hause will.
Aber das geht erst, wenn dort keine Bomben mehr fallen, Terroristen wüten und Kinder verhungern. Bis dahin darf es keine Obergrenze für unsere Hilfe geben!
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