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Politik

Probieren wir es doch einfach

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Jens Thurau
6. Juli 2020

Die Verteidigungsministerin denkt laut über ein "Dienstjahr" für junge Deutsche nach - in der Truppe oder in sozialen Einrichtungen. Eine alte Idee, die deshalb nicht unbedingt schlecht ist, meint Jens Thurau.

Schon im kommenden Jahr will Ministerin Kramp-Karrenbau die ersten Freiwilligen in die Bundeswehr aufnehmenBild: picture-alliance/dpa/T. Frey

Wie sich die Zeiten ändern: 2011, vor neun Jahren, waren sich eigentlich alle Parteien in Deutschland einig, dass die Abschaffung der Wehrpflicht zeitgemäß sei. Die Bundeswehr brauchte kaum noch junge Rekruten. Wer dennoch eingezogen wurde, beklagte zu Recht, dass es nicht fair sei, wenn nur ein Bruchteil eines jeden Jahrgangs zum Dienst an der Waffe - oder zum Zivildienst - gezwungen werde.

Seit damals ist die Bundeswehr immer mehr zu einer Truppe von Spezialisten geworden, Wehrpflichtige braucht sie heute weniger denn je. Und dennoch gibt es jetzt erneut in Deutschland eine Debatte darüber, ob es nicht gut wäre, so etwas wie einen Bürger-Dienst entweder in der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen einzuführen. Getrieben wird diese Debatte von zwei Entwicklungen: rechtsextremen Tendenzen in der Truppe, zuletzt in den Reihen der Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) und der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft.

"Dein Jahr für Deutschland"

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauers überraschender Vorschlag trägt nun den schönen Titel "Dein Jahr für Deutschland" und soll ein Jahr dauern. Schon jetzt gibt es den freiwilligen Wehrdienst, bezahlt und bis zu 23 Monate lang - ein Angebot, dass zuletzt rund 9000 junge Menschen, mehr Männer als Frauen, annahmen. Allein diese eher geringe Zahl zeigt, dass es sicherheitspolitisch kaum ein Argument gibt für eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Für ein "Jahr für Deutschland" aber sehr wohl, ob nun in der Bundeswehr oder in anderen Einrichtungen.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Ich bin 1981 für damals 15 Monate zur Bundeswehr gegangen. Nicht wirklich gern, wie die meisten. Viele meiner Freunde verweigerten den Dienst an der Waffe und zogen Tätigkeiten in Pflegeheimen oder in der Jugendarbeit vor. Aber das Gefühl war schon da, dass wir alle nach dieser Zeit ein Stück gereifter und klarer in die Welt hinausgegangen sind. In der Truppe verhinderten die Wehrpflichtigen ein allzu starkes Inseldenken unter den Berufsoffizieren. Und die Zivildienstleistenden wurden sowieso überall dringend gebraucht.

An rechtsextremen Ansichten in abgeschotteten Einheiten wie dem KSK kann keine Wehrpflicht etwas ändern. Aber die Idee, dass junge Menschen nach der Schule erst einmal etwas für ihr Land tun und dann erst ihren individuellen Lebensweg beschreiten, diese Idee ist aktueller denn je. Damals, 2011, wurde auch argumentiert, junge Deutsche stünden dem Arbeitsmarkt, etwa nach einem Studium, viel zu spät zur Verfügung. Hektisch wurden Studiengänge verkürzt und das Abitur nach zwölf Schuljahren eingeführt. Auch deshalb erschienen Wehr- und Zivildienst als lästige und anachronistische Verzögerung beim möglichst schnellen Weg ins Berufsleben. Das hat sich längst alles wieder geändert, die Schulen vielerorts kehren zum Abitur nach 13 Jahren zurück, die junge Leute lassen sich wieder mehr Zeit bei der Lebensplanung. Gut so.

Keine Mehrheit für eine Dienstpflicht

Deshalb wäre, finde ich, ein "Jahr für Deutschland" wirklich keine schlechte Idee. Eine Verpflichtung erscheint unrealistisch - dafür gibt es keine politische Mehrheit. Bezeichnend ist deshalb, dass Kramp-Karrenbauer es offen lässt, ob es eine allgemeine Dienstpflicht geben soll. Aber ein attraktiv vergütetes Jahr im Dienst der Gesellschaft wäre doch einen Versuch wert.

Der Freiwilligendienst könnte natürlich auch - wie früher der Zivildienst - in sozialen Einrichtungen geleistet werdenBild: picture alliance / dpa

Wie gesagt: Von der Idee, dass junge Soldaten oder Pfleger auf Zeit am Rechtsextremismus in der Bundeswehr etwas ändern können, kann man sich getrost verabschieden. Aber der allgemeinen Polarisierung und Aggressivität der Gesellschaft könnte der Dienst vielleicht ein Stück weit abhelfen. Letzten Endes ist die Polarisierung doch nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass sich die Gesellschaft kaum noch auf gemeinsame Überschriften einigen kann. Darauf etwa, dass Deutschland bei allen Problemen eigentlich ein guter Ort zum Leben ist. Ein Dienst für das Land wäre eine kleine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Probieren wir es doch einfach.

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