1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Protest und Trauer in Teheran

Peter Philipp Kommentarbild APP PROVISORISCH
Peter Philipp
13. Januar 2020

Vergangene Woche noch riesige Trauermärsche für den getöteten General Soleimani, jetzt Demonstrationen wegen des Abschusses der ukrainischen Verkehrsmaschine. Das ist kein Widerspruch, meint Peter Philipp.

Sie saß in der abgeschossenen Maschine - Angehörige und Freunde der Opfer zeigen ihrer Trauer in Teheran öffentlich Bild: picture-alliance/dpa/Photoshot/A. Halabisaz

Einem wahren Wechselbad der Gefühle ist die iranische Bevölkerung seit jenen Tagen im November vergangenen Jahres ausgesetzt, als zunächst Hunderttausende landesweit auf die Straße zogen, um gegen eine heftige Benzinpreis-Erhöhung zu protestieren, die Wirtschaftslage im Allgemeinen und die Korruption in der politischen Führungsschicht im Speziellen. Die Demonstrationen wurden mit voller Härte beendet - es gab Hunderte von Toten und Tausende wurden verhaftet. Die kritisierten Missstände aber blieben bestehen. Zwar war es dieses mal etwas heftiger gewesen, aber doch schien es wieder nur einer mehr der im Iran sporadisch aufflammenden Proteste gegen unterschiedliche Missstände gewesen zu sein.

Dieser Eindruck verstärkte sich Anfang Januar, als die Islamische Republik die größten Manifestationen ihrer 40-jährigen Geschichte erlebte: nicht gegen die politische Führung des Landes, sondern gegen die USA. Die hatten gerade eben mit dem tödlichen Anschlag auf den wohl bedeutendsten Repräsentanten des iranischen Militärs das seit Jahrzehnten von der Führung in Teheran gepflegte Feindbild des amerikanischen Aggressors erneut bestätigt.

Sympathie und Bewunderung für einen Mann des Regimes

General Ghassem Soleimani, der Chef der "Al Kuds-Brigaden" ("Jerusalem-Brigaden") der iranischen Revolutionsgarden, galt als hauptverantwortlicher Planer und Kommandeur des iranischen Militäreinsatzes gegen den "Islamischen Staat" (IS) im Irak und Syrien. Er koordinierte die Zusammenarbeit mit der libanesischen Hisbollah und soll auch federführend bei der Unterstützung der jemenitischen Huthi-Rebellen gewesen sein. Durch und durch ein Mann des Teheraner Regimes also.

Peter Philipp, langjähriger Nahost-Experte der DWBild: DW

Gleichzeitig aber empfanden viele Iraner Sympathie und Bewunderung für den Mann aus einfachen Kreisen, obwohl dieser sich so sehr "im Interesse der Nation" profilierte. Diese Sichtweise war zwar wenigstens zum Teil der offiziellen Informationspolitik und Propaganda geschuldet. Andererseits war ein Teil dieser Bewunderung für Soleimani auch berechtigt: Der Mann blieb bescheiden im Auftreten, trat oft bei seiner Truppe auf und kämpfte vermeintlich für die "gerechte Sache". Ganz besonders im Fall des IS: Hier ging Soleimani sogar so weit, dass er in der Anfangszeit des IS im Irak sein Vorgehen indirekt mit den USA koordinierte. Solange Soleimani gegen den IS im Einsatz war, wurde er von einer breiten Mehrheit der Iraner als eine Art Schützer der Nation betrachtet, denn der (sunnitische) IS ist ein erklärter Feind des schiitischen Iran.

Für die politische Führung in Teheran waren die Tage von der Tötung des Generals bis zu seiner Beisetzung deswegen eine willkommene Gelegenheit, diese Sympathie für Soleimani in der Bevölkerung auszunützen und zu einer scheinbaren Solidaritätsbekundung für die Regierung umzumünzen. Der Andrang der trauernden Massen in allen Orten des Iran war überwältigend. Die Politiker aber irrten, wenn sie meinten, die Unzufriedenheit des Volkes mit den eigenen Politikern sei nun verdrängt und habe Platz gemacht für neue Hassbekundungen gegenüber den USA.

Jetzt kritisieren Demonstranten wieder die Regierung

Dies zeigt sich inzwischen auf dramatische Weise, weil nun Demonstranten auf die Straße ziehen, um den Politikern Versagen oder gar Unfähigkeit vorzuwerfen, unterschwellig aber wohl auch einen hohen Grad von Verachtung gegenüber dem eigenen Volk. Nachdem offizielle Stellen in Teheran den Absturz einer ukrainischen Verkehrsmaschine tagelang als technisches Versagen hingestellt hatten, stellte sich heraus, dass das Flugzeug von Raketen der Revolutionsgarden abgeschossen worden war.

Protest gegen die Regierung und den Abschuss der ukrainischen Maschine am Sonntag Abend in TeheranBild: picture-alliance/dpa/Photoshot/A. Halabisaz

176 Menschen an Bord des Flugzeugs getötet, die meisten von ihnen Iraner oder iranische Doppelstaatsbürger - das ist die Bilanz, die weite Kreise in der iranischen Bevölkerung ziehen. Dort hat man keinerlei Verständnis dafür, dass Teheran die wahre Ursache des Unglücks zunächst hatte vertuschen wollen und man fordert - ähnlich auch wie die Staaten, die Bürger unter den Opfern betrauern - eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge und Maßnahmen gegen die Verantwortlichen. Womit nicht in erster Linie der Mann gemeint ist, dessen Knopfdruck den verhängnisvollen Abschuss ausgelöst hat. Sondern diejenigen, die in der explosiven Situation jener Stunden keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatten - zum Beispiel den zivilen Luftverkehr vorübergehend zu stoppen.

Die neuen Demonstrationen sind noch weit kleiner als die vorigen, sie könnten sich aber leicht ausweiten. Und nun kommt Donald Trump und bietet den Demonstranten Schutz und Unterstützung an. Die brauchen und wollen sie aber nicht. Ihnen geht es darum, 40 Jahre nach der Revolution endlich Recht und Ordnung in ihrem Land zu bekommen.