Vor kurzem war der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán noch das schwarze Schaf unter den Regierungschefs der Europäischen Union. Notgedrungen wurde er zu EU-Treffen eingeladen, doch bilateral wollte ihn kaum jemand empfangen. Die Linie lautete, dass man ihn mit einer Mischung aus halblauter Kritik, Ignoranz und EU-Rechtsstaatlichkeitssverfahren im Zaum halten könne. Auch der russische Präsident Wladimir Putin war bis vor kurzem noch ein Paria - ausgeschlossen von den entscheidenden geopolitischen Foren und Treffen der Welt, vom alten US-Präsidenten Obama verspottet als Staatsoberhaupt einer Regionalmacht.
Zwei, an denen man nicht mehr vorbeikommt
Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Nicht, dass Putin und Orbán plötzlich geachtete und geschätzte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft geworden wären. Aber seit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine, seit der Flüchtlingskrise und vor allem seit dem unheilvollen Jahr 2016 mit dem Brexit und der Wahl Trumps zum neuen US-Präsidenten hat die Stimme der beiden Staatsmänner EU-weit und international Gewicht bekommen. Ein negatives zwar, aber dennoch ein erhebliches. Sie sind, in unterschiedlichen Abstufungen, Unruhe- und sogar Brandstifter, an denen niemand mehr vorbeikommt - wie Trump und Erdogan An- und Wortführer der derzeitigen antidemokratischen, autoritären Wende in Europa und in der Welt.
Das zu demonstrieren, war auch die Absicht des Treffens von Putin und Orbán am Donnerstag in Budapest. Es war das vierte Treffen der beiden seit Anfang 2014 und immerhin das dritte seit der Annexion der Krim und dem von Russland provozierten und am Laufen gehaltenen Krieg in der Ostukraine. Vordergründig ging es um die Einzelheiten einer Reihe von gemeinsamen Wirtschaftsprojekten, über die seit Jahren verhandelt wird. Putin hätte dafür nicht nach Budapest kommen müssen. Doch diese Projekte, darunter der Ausbau des ungarischen Atomkraftwerkes Paks, waren die Kulisse für versteckte Drohungen und provokante Sprüche. Orbán konnte zeigen, dass er die Unterstützung von einem der mächtigsten Männer der Welt genießt, Putin wiederum, dass er das Potenzial besitzt, die EU und die internationale Gemeinschaft zu spalten.
Den denkwürdigsten Satz des Treffens ließ Orbán fallen: Im westlichen Teil des europäischen Kontinents, so der ungarische Regierungschef, habe sich eine starke antirussische Stimmung herausgebildet, antirussische Politik sei zur Mode geworden. Eine höchst bemerkenswerte Feststellung - immerhin gehörte Orbán während der ersten zwei Jahrzehnte seiner politischen Karriere zu den schärfsten Kritikern des sowjetischen Totalitarismus und der antidemokratischen Entwicklung im postsowjetischen Russland. Mehr noch: Wenn er über die Sowjetunion und Russland sprach, lag oft ein herablassender Unterton in seinen Worten, mitunter klangen die antirussisch-antislawischen Ressentiments an, die in Deutschland und Mittelosteuropa historisch so verbreitet waren und zum Teil noch sind.
Man schätzt sich, man lobt sich
Putin, der mit einem riesigen Gefolge angereist war, lobte seinerseits Ungarn als höchst verlässlichen Partner und zeigte sich außerordentlich erfreut über Orbáns neuerdings so demonstrativ russophile Gesten - unter anderem war wenige Tage vor Putins Besuch im nordungarischen Esztergom ein neues, imposantes Denkmal für gefallene russische und sowjetische Soldaten eingeweiht worden. Nebenbei gab der russische Präsident der Ukraine die Schuld am neuen Aufflammen des Krieges in der Ostukraine, Orbán wiederum trat mit einer fast hinterhältigen Bemerkung nach: Die Ukraine halte das Minsk-Abkommen nicht ein, die Rechte der Minderheiten, darunter der ungarischen in der Westukraine, würden nicht so respektiert wie vorgesehen.
Ein Meilenstein war das Treffen nicht und dementsprechend fand es längst nicht so große mediale Aufmerksamkeit wie etwa der Besuch Putins in Budapest vor fast genau zwei Jahren. Doch genau darin liegt die eigentliche Nachricht und das Fazit des Orbán-Putin-Treffens: Entspannt konnten die beiden Staatsmänner vorführen, was sich als Motto internationaler Politik wieder mehr und mehr durchsetzt: Wertepolitik ist obsolet, die Realpolitik kehrt zurück.
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