1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Putin scheint nachzugeben

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
18. Oktober 2016

Kaum demonstriert der Westen ein wenig Härte, schon signalisiert der russische Präsident Gesprächsbereitschaft. Sein Besuch in Berlin ist aber nicht mehr als ein taktisches Manöver, meint Andrey Gurkov.

Das jüngste Vierer-Treffen liegt mehr als ein Jahr zurück: Angela Merkel, Wladimir Putin (2.v.l.), Petro Poroschenko (2.v.r.), Francois Hollande (re.)Bild: Reuters/M. Palinchak

Wladimir Putin kommt nach Berlin. Noch vor wenigen Jahren wäre diese Nachricht hauptsächlich ein weiterer Beleg für die guten deutsch-russischen Beziehungen gewesen. Heute ist sie fast schon eine außenpolitische Sensation. Denn es handelt sich um den ersten Besuch des russischen Präsidenten in der deutschen Hauptstadt seit der Annexion der Krim im März 2014, dem Beginn des Krieges in der Ost-Ukraine und somit der neuen Eiszeit in den Beziehungen zum Westen. 

Dabei folg der Kremlherr der Einladung ausgerechnet jener Politikerin, die in Moskau als die größte Befürworterin der europäischen Sanktionspolitik gegen Russland gilt und deshalb dort unter massivem Propagandafeuer steht: Angela Merkel. Und er hat diese Einladung erst einen Tag vor dem am Mittwoch (19.10.) stattfindenden Treffen angenommen, was davon zeugt, dass er lange gezögert hat.

Der Minsk-II-Prozess ist an seine Grenzen gestoßen

Das Treffen in Berlin wird allerdings kein bilaterales sein: Es findet im sogenannten Normandie-Format statt. Dieser Viererkreis existiert seit Juni 2014, als am Rande der Feierlichkeiten zum D-Day-Jubiläum der Gastgeber, Frankreichs Präsident François Hollande, zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin den russischen Staatschef Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko an den informellen Verhandlungstisch brachte.  

Andrey Gurkov, Russische Redaktion der DW

Seinen politischen Höhepunkt erlebte das Quartett im Februar 2015 in der weißrussischen Hauptstadt, wo es das Minsk-II-Abkommen aushandelte. Es hat das Separatismus-Problem im Osten der Ukraine nicht lösen können, ließ aber zumindest die schweren Waffen in der Region schweigen und das massenhafte Sterben aufhören. Doch mittelweile ist der damals angestoßene Befriedungsprozess an seine Grenzen gestoßen.

Das Minsker Dokument enthält nämlich Vereinbarungen, die weder Kiew noch Moskau einhalten wollen und können. In der Ukraine ist ein Sonderstatus für die Rebellengebiete samt Lokalwahlen und Amnestie innenpolitisch nicht durchsetzbar, denn das alles käme in den Augen eines großen Teils der Bevölkerung einer Legitimierung dieser Rebellion gleich. Der Kreml wiederum kann die an sich gerissene Kontrolle über einen großen Abschnitt der offiziellen ukrainischen Ostgrenze nicht abgeben, denn das würde die Nachschubwege für die prorussischen Separatisten kappen und käme einem Verrat an ihnen gleich.

Die russische Kurskorrektur hat viel mit Syrien zu tun

So wundert es nicht, dass der Minsk-II-Prozess praktisch zum Erliegen kam. Das bislang letzte Gipfeltreffen im Normandie-Format fand vor einem Jahr in Paris statt. Danach haben die vier Spitzenpolitiker nur noch Telefonkonferenzen abgehalten oder ließen ihre Außenminister zusammenkommen. Gebracht hat das nichts. Allein vor diesem Hintergrund ist schon das Zustandekommen eines neuen Gipfeltreffens zur Ost-Ukraine eine handfeste Überraschung. Vor allem deshalb, weil auch Putin kommt. Denn erst im August erweckte der Kreml durch harsche Bemerkungen an die Adresse von Poroschenko den Eindruck, als habe er das Normandie-Format abgeschrieben.      

Die plötzliche Reise des russischen Präsidenten nach Berlin sieht daher, wenn nicht nach einer Kehrtwende, so doch zumindest nach einer beachtlichen Kurskorrektur aus. Für den Sinneswandel im Kreml sind zwei Erklärungen möglich, die einander nicht widersprechen und daher beide zutreffen könnten: Zum einen hat sich Russland in Syrien eindeutig verrannt - und würde die internationale Aufmerksamkeit jetzt gerne auf ein anderes Thema umlenken. Seinerzeit lenkte die Syrienoperation vortrefflich von der festgefahrenen Situation in der Ost-Ukraine ab. Nun wird der Spieß umgedreht.

Der Kreml spürt wieder die Stärke des Westens

Zum anderen hat Putin gerade in den jüngsten Tagen erfahren müssen, dass der Westen auch hart sein kann: Die Amerikaner brechen demonstrativ die Syrien-Gespräche ab; die Briten und die EU sprechen offen von russischen Kriegsverbrechen in Aleppo; die Deutschen bringen eine Verschärfung der Sanktionen und einen Stopp des Pipelineprojekts Nord Stream 2 ins Gespräch; der französische Präsident erklärt, er könne seinen russischen Kollegen nur zu Gesprächen über Syrien in Paris empfangen, was den Kreml zwingt, einen lange geplanten Staatsbesuch abzusagen. Denn ursprünglich wollte Putin an der Seine feierlich eine russische Kirche und eine Kunstausstellung eröffnen und diese medienwirksamen Aktivitäten durch die Anwesenheit von François Hollande propagandistisch veredeln.

Gerade dieser offene Affront des französischen Präsidenten, den man in Moskau bisher eher für einen schwachen und wackligen Vertreter des Westens hielt, dürfte Putin stark beeindruckt haben. Und so signalisiert er prompt Gesprächsbereitschaft. Man sollte dieses taktische Manöver nicht überbewerten und nichts bahnbrechendes von dem Treffen am 19. Oktober erwarten. Aber Putin, der bei seinen jüngsten Verhandlungen "im Osten" - mit der Türkei und mit den BRICS-Staaten - zwar wirtschaftliche, aber keine nennenswerten politischen Erfolge erzielen konnte, scheint in den Beziehungen zum Westen nachzugeben. Denn auf einmal spürt der Kreml wieder dessen potenzielle Stärke.              

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen