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Ramadi und der Niedergang der Arabischen Welt

Sollich Rainer Kommentarbild App
Rainer Sollich
19. Mai 2015

Der sunnitisch-schiitische Konflikt erschwert nicht nur die Vertreibung des "Islamischen Staates" aus der irakischen Stadt Ramadi. Er befördert den Niedergang der gesamten Region, meint Rainer Sollich.

Bild: picture-alliance/AP Photo/K. Kadim

Der Fall Ramadis sei zwar ein Rückschlag im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS), erklärt Pentagon-Sprecher Steve Warren kleinlaut. Doch überbewerten dürfe man dies nicht, meint er. Man müsse die Stadt nun eben zurückerobern. Außenminister John Kerry verbreitet ebenfalls Zweckoptimismus und erklärt, er sei sehr zuversichtlich, dass die die Rückeroberung Ramadis bereits in den kommenden Tagen geschehen werde.

Rein militärstrategisch mag die Analyse der beiden Herren sogar stimmen: Acht Monate alliierte Luftangriffe haben den IS sicherlich empfindlich geschwächt. Die illegalen Einnahmen der Terroristen sind zurückgegangen, sie haben Kobane und Tikrit verloren und werden vielleicht auch Ramadi nicht lange halten können. Doch um welchen Preis?

Bezahlt wird in Menschenleben

Bezahlt wird, so oder so, wie immer in Menschenleben und Schicksalen: Mindestens 500 Männer und Frauen sollen den Kämpfen um Ramadi bereits zum Opfer gefallen sein, mehr als 25.000 sind auf der Flucht. Und es könnten noch mehr werden, wenn der IS wieder in größerem Maßstab vermeintliche "Verräter" abschlachtet. Oder wenn flankierend zu amerikanischen Luftangriffen nun ausgerechnet schiitische Milizen zu den Waffen greifen sollen, um die überwiegend sunnitischen Einwohner Ramadis von der Herrschaft des IS zu befreien. In einer Region, in dem der Gegensatz von Sunniten und Schiiten seit vielen Jahren offene Machtkonflikte schürt und von allen Seiten hemmungslos als Rechtfertigung für Terror, blutige Gewaltorgien und Racheakte instrumentalisiert wird, ist dies mehr als ein Spiel mit dem Feuer: Es ist ein hochgefährliches Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

Dabei ist durchaus vorstellbar, dass der "Islamische Staat" in nicht allzu ferner Zeit als territoriales Herrschaftsgebilde besiegt sein wird - im Irak ebenso wie in Syrien. Doch was wird von beiden Ländern bleiben? Das ist völlig ungewiss. Der IS wird jedoch allein schon deshalb eine schlagkräftige Miliz und Terrorgruppe bleiben, weil er erfolgreich auf der Klaviatur der interkonfessionellen Gegensätze zu spielen versteht, die heute in weiten Teilen der Region tonangebend ist und leider wohl auch bleiben wird - bei den politischen Eliten ebenso wie bei einem besorgniserregend großen Teil der Bürger. Syrien, Irak, Libyen, Jemen: Ein arabischer Staat nach dem anderen scheitert an interkonfessionell, ethnisch oder tribal aufgeladenen Machtkonflikten - und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. In solchen sich zunehmend von innen heraus auflösenden Staaten werden der IS, Al Kaida und andere Gruppen auch ohne eigenes Territorium Angst und Schrecken verbreiten können.

Rainer Sollich, Arabische Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Interkonfessionelle und ähnliche Ressentiments kommen dabei nicht aus dem luftleeren Raum. Sie sind, trotz jahrzehntelangen friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen in mehreren Ländern, schon lange latent vorhanden gewesen und wurden von früheren Diktatoren teils unterdrückt, teils instrumentalisiert. In Folge des gescheiterten "Arabischen Frühlings" hat letztere Tendenz zugenommen und wurde vielerorts politikbestimmend. Zusammen mit den enormen wirtschaftlichen Problemen vieler Länder und der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit ist daraus ein gefährlicher Cocktail entstanden, der die gesamte Region immer tiefer ins Chaos zu ziehen droht.

Alarmglocken bleiben stumm

Die Jugend ist unsere Zukunft - sagen auch arabische Politiker gerne. Aber wenn diese Jugend ohne Perspektive auf den Straßen herumlungert, frustriert auf den nächstbesten Schlepperkahn in Richtung Europa wartet oder sogar als Kanonenfutter in bewaffneten Konflikte missbraucht wird, sollten eigentlich die Alarmglocken schrillen.

Doch in der Arabischen Welt bleiben die Alarmglocken beängstigend stumm - sowohl bei Herrschern ärmeren Länder, die wie Ägyptens Machthaber al-Sisi mit eiserner Hand jegliche Opposition gegen ihr Regime in Schach zu halten versuchen, als auch bei den Potentaten der reichen, nicht minder repressiven Golfstaaten. Dabei würden die Länder am Golf wirtschaftlich und sozial eigentlich relativ gute Voraussetzungen mitbringen, um zumindest politisch ein starkes Signal gegen den Verfall und Niedergang der Arabischen Welt zu setzen. Angestrebt werden müsste eine völlig neue Form der regionalen Zusammenarbeit unter Einschluss auch nicht-arabischer Staaten wie Iran und Türkei. Mit dem Ziel, den Kreislauf von gegenseitiger Rivalität, Hass und Gewalt zu durchbrechen zugunsten einer gemeinsamen Initiative für mehr Bildung, Freiheit und Wohlstand.

Die gesamte Region leidet unter ähnlich gelagerten Problemen, die gesamte Region benötigt dringend eine neue Vision. Doch gerade die sunnitischen Machthaber am Golf versagen völlig vor dieser Verantwortung. Sie blicken nur von Tag zu Tag ängstlicher auf ihren großen schiitischen Rivalen Iran, der perspektivisch sogar mit ihrem traditionellen Verbündeten USA ins Geschäft kommen könnte, und fürchten sich zugleich vor dem Unruhepotential ihrer eigenen Bevölkerungen. Die interkonfessionellen Spannungen in der Region schüren sie zugunsten des eigenen Machterhalt sogar selber kräftig mit an und bombardieren mit dem Jemen überdies das ärmste Land der Arabischen Halbinsel. Eine Vision für das, was danach folgen soll, hat niemand. Weder am Golf noch in Ramadi.

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