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Politik

Kaczyńskis Ablenkungsmanöver

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek
3. August 2017

Polens faktischer Machthaber, Jarosław Kaczyński, bringt Reparationsforderungen gegenüber Deutschland ins Gespräch. Eine Retourkutsche für die Kritik am gegenwärtigen politischen Kurs Warschaus, meint Bartosz Dudek.

Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Wlodarczyk

"Das Leid, das den Polen von den Deutschen und im Namen Deutschlands zugefügt wurde, ist schlicht unvorstellbar. Wir Deutschen empfinden tiefste Scham für diese Verbrechen. Wir haben dafür in der Vergangenheit Verantwortung übernommen und werden es auch in der Zukunft tun", erklärte vor kurzem der deutsche Botschafter in Polen, Rolf Nikel, in einer Rede zum polnischen Volkstrauertag. In der Tat, die Monstrosität der deutschen Verbrechen auch an nichtjüdischen Polinnen und Polen, darunter das Abschlachten von 150.000 Zivilisten allein beim Warschauer Aufstand 1944, bleiben für immer eine Schande und himmelschreiendes Unrecht. Dies umso mehr, als kaum einer der deutschen Verantwortlichen dafür je juristisch belangt wurde. Auch das bleibt ein Schandfleck in der Geschichte der deutschen Justiz.

45 Milliarden Dollar allein für Warschau

Diese Verbrechen haben nicht nur eine moralische, sondern auch eine materielle (Kehr-)Seite: Um allein die Zerstörung Warschaus auszugleichen, müsste Deutschland an Polen 45 Milliarden US-Dollar zahlen - diesen Betrag ließ 2004 der damalige Oberbürgermeister von Warschau, Lech Kaczyński, errechnen.

Hochgerechnet auf das ganze Land müsste die Wiedergutmachung also vermutlich um das Zehn- bis Zwanzigfache höher sein. Das wäre ein Betrag, der nur über Generationen und Jahrzehnte abgetragen werden könnte. Wenn man bedenkt, dass die letzte Reparationszahlung Deutschlands an Frankreich und Belgien für den Ersten (!) Weltkrieg erst 2010 geleistet wurde,  bekommt man eine Vorstellung von den Dimensionen dieser möglichen Ansprüche.

Bartosz Dudek leitet die Polnische Redaktion

Es war aber gerade die Erfahrung mit den Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg gewesen, die nach Zweiten Weltkrieg den Gedanken aufkommen ließ, denselben Fehler nicht zu wiederholen. Denn es gilt als unbestritten, dass die Belastung durch Reparationen und die daraus resultierende Wirtschaftskrise den Weg zur Diktatur Hitlers geebnet haben. Daraus haben die Siegermächte gelernt. Im Londoner Schuldenabkommen 1953 wurden deswegen - freilich ohne Beteiligung der Sowjetunion und Polens - Reparationsansprüche auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt.

Aber auch Sowjetunion hat unter dem Eindruck des Arbeitsaufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR auf weitere Reparationszahlungen verzichtet, um dem neu entstandenen sozialistischen deutschen Staat wirtschaftlich zu helfen. Den gleichen Schritt unternahm, unter dem Druck des Kremls, die damalige kommunistische Regierung Volkspolens. Das war eine schwierige, aber dennoch kluge Entscheidung. Die polnische Regierung hat sie 2004 nochmals bekräftigt, als im Gegenzug Bundeskanzler Gerhard Schröder in Warschau verbindlich erklärte, die Bundesregierung werde keine Entschädigungsansprüche der Vertriebenen unterstützen. Denn der Verzicht auf die früheren Ostgebiete Deutschlands wurde als ein Teil der Entschädigung an Polen für Deutschlands Verbrechen gesehen.

Damit sollte das Thema Reparationen eigentlich abgeschlossen sein. Es stellt sich die Frage, warum die in Polen regierende national-konservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) das Thema ausgerechnet jetzt wieder auf die Tagesordnung setzt?

Retourkutsche für die Kritik an Polen

Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Für Polens eigentlichen Machthaber, den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, ist Außenpolitik nicht anderes als eine Funktion der Innenpolitik. Angesichts der Spannungen im Regierungslager nach der zunächst gescheiterten Justizreform wollen Kaczyński und sein Verteidigungsminister Antoni Macierewicz offenbar ein Ablenkungsmanöver starten. Denn die Parole von "Polen, das von den Knien aufgestanden ist" und dem mächtigen Nachbar Deutschland die Stirn bietet, kommt gut an beim national-konservativen Wahlvolk.

Anti-deutsche Ressentiments waren schließlich schon in der Zeit der kommunistischen Herrschaft ein probates Mittel, um das Volk um die Regierenden zu scharen. Darüber hinaus darf der neue Vorstoß als Antwort auf die anhaltende Kritik aus Deutschland und Brüssel an die Adresse Warschaus verstanden werden. "Die Kinder und Enkelkinder der degenerierten Mörder werden uns nicht in Demokratie unterweisen", so der PiS-Politiker Bartosz Kownacki wörtlich. Dem stellvertretenden Verteidigungsminister waren in den vergangenen Tagen von der deutschen Presse verdächtige Kontakte nach Russland unterstellt worden.

Polens Verzicht hat Deutschlands Wohlstand möglich gemacht

Auch wenn die Frage der Reparationen also nur ein Instrument der Innenpolitik ist, so ist das Aufkochen der Ressentiments Gift für die sensiblen deutsch-polnischen Beziehungen. Das zeugt nur vom anachronistischen und rücksichtlosen Politikverständnis Jaroslaw Kaczynskis, für den das Ziel des Machterhalts alle Mittel heiligt.

Andererseits müssen sich die Deutschen darüber im Klaren sein, dass auch Polen mit dem Verzicht auf die Reparationen zum Wiederaufbau und letztendlich zum heutigen Wohlstand Deutschlands ihren Beitrag geleistet haben. Das ist alles andere als selbstverständlich - angesichts des unvorstellbaren Leids, das ihnen von den Deutschen und im Namen Deutschland zugefügt wurde.

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