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Politik

Rote Karte für Orban

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
12. September 2018

Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament ein Verfahren gegen die nationalistische Regierung von Viktor Orban eröffnet. Das wurde auch Zeit, ein Erfolg ist aber nicht garantiert, meint Bernd Riegert.

Bild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Das Prinzip, dass ein EU-Mitgliedsstaat ein Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz, freien Medien und freier Wissenschaft sein muss, darf nicht angetastet werden. Das sollte für jeden rationalen Politiker in der EU eine Selbstverständlichkeit sein. Dass sich das Parlament jetzt gezwungen sieht, überprüfen zu lassen, ob der Rechtsstaat in Ungarn in ernster Gefahr ist, ist an sich schon ein Schock. Es sollte eine letzte Warnung an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban sein, ein schallende politische Ohrfeige. Das Problem ist aber, dass Ungarn inzwischen auf eine so nationalistische Linie gebürstet ist, dass es dem Autokraten von der Donau zuhause wohl eher nutzen als schaden dürfte.

Orban kann sich als Opfer der Bürokraten und Euro-Fanatiker in Brüssel darstellen. Er kann Verbündete sammeln, weiter auf der erschreckend hohen Welle des Rechtspopulismus in der EU reiten. Die Regierungen in Polen, Tschechien, Italien und teilweise auch Österreich gehören zu seinem Lager. Rechtspopulistische Parteien in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und auch in Deutschland werden den fehlgeleiteten Kampf der Ungarn um ihren nationalen Stolz unterstützen. Im nächsten Europaparlament ab Juni 2019 könnten diese EU-feindlichen Kräfte eine große und mächtige Fraktion bilden und viel Schaden anrichten.

Orbans Familie Hauptnutznießer von EU-Aufträgen

Trotzdem war es höchste Zeit das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Grundlagenvertrages gegen Ungarn auszulösen. Die übrigen EU-Staaten können es sich nicht länger gefallen lassen, dass die ungarische Regierung Grundwerte mit Füßen tritt, dazu noch die Hand aufhält und üppige EU-Subventionen einstreicht. Das ist wörtlich zu nehmen, denn Viktor Orbans Familie gehört mit ihren Firmen zu den Hauptnutznießern von EU-Aufträgen. Vetternwirtschaft heißt das System, das Orban nach Ansicht des EU-Parlaments perfektioniert hat. Er handelt längst nach dem Motto "ein Staat, ein Volk, ein Orban".

Der Schritt des Parlaments war also richtig und überfällig. Die christdemokratische Fraktion, zu der neben Orbans Fidesz-Partei auch die deutsche CDU und die CSU gehören, muss den Ungarn jetzt endlich hinauswerfen. Viel zu lange hat vor allem die bayrische CSU am vermeintlichen Vorbild Viktor Orban festgehalten.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Für die Europäische Union und ihren Zusammenhalt ist ein weiteres Sanktionsverfahren eine schlechte Nachricht. Nach Polen steht nun auch Ungarn am Pranger. Bereits zwei Mitgliedsstaaten stehen in dringendem Verdacht, die Regeln des Clubs systematisch zu brechen. Das geht an die Substanz. Die Spaltung der EU zwischen alten Mitgliedern im Westen und neuen Mitgliedern im Osten wird stärker, zumal es auch den Verdacht gibt, dass die Rechtsstaatlichkeit in Rumänien ebenfalls unter Druck geraten könnte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede zur Lage der EU gesagt, man müsse versöhnen statt spalten. Nur wie soll das gehen mit den Sturköpfen Orban in Ungarn und dem Parteiführer Kaczynski in Polen?

Das Artikel 7-Verfahren ist langwierig und das Ergebnis ist offen. Im zweiten Verfahrensschritt können Ungarn und Polen gegenseitig durch ein Veto eine Verurteilung verhindern. Die Mitgliedsstaaten hatten bisher Scheu, entschlossen gegen einen der ihren vorzugehen. Eine wirkliche Änderung des Verhaltens lässt sich wohl nur durch den Geldbeutel erzwingen. Parallel zur Artikel 7-Strafexpedition wird der nächste Haushalt der EU für die Jahre 2021 bis 2027 verhandelt. Da geht es sowohl für Ungarn als auch für Polen um Milliarden an Zuschüssen, die demnächst an die Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung geknüpft werden sollen. Hier liegt der wahre Hebel, um die stolzen Nationalisten mit ihren wirren Thesen zu stoppen.

Noch schwieriger: Italien

Der Spaltpilz lauert aber auch bei den Populisten und Nationalisten in Italien. Den rechtsradikalen Innenminister Matteo Salvini zur Räson zu bringen, dürfte noch weit schwieriger sein. Salvini geht nicht so plump wie Orban gegen den Rechtsstaat vor und Italien ist vor allen Dingen ein Netto-Zahler. Von der Drohung mit dem Geldbeutel ließe sich Italien also nicht beeindrucken. Es kann aber sehr wohl passieren, dass der ungarische Populist und der italienische Rechtsradikale gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig schützen. Sie haben leider das Potenzial, die Europäische Union zu spalten, zu blockieren und entscheidend zu verändern.

Das Artikel 7-Verfahren ist ein politischer Warnschuss. Es ersetzt aber nicht die Auseinandersetzung mit den politischen Ideen der Rechtspopulisten. Am Ende müssen die Wählerinnen und Wähler in Polen, Ungarn oder Italien überzeugt werden, sich ihrer gefährlichen Regierungen zu entledigen, so lange sie noch die Wahl haben.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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