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Russlands Elite ist kaltschnäuzig und arrogant

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto
13. August 2016

Dmitri Medwedew macht einen Spruch über Lehrer in Russland - mitten im Wahlkampf. Er wird aber dem Regierungschef kaum schaden. Die Russen haben sich mit der Arroganz der Macht abgefunden, sagt Juri Rescheto.

Bild: Reuters/M. Dalder

Strippende Dozenten? Hatten wir schon. Lehrer als Markthändler? Kenne ich auch. Der Vorschlag des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew, als Lehrer sein Geld lieber woanders zu verdienen als in der Schule, ist zynisch und weckt eine der schmerzvollen Erfahrungen der 90er Jahre in mir.

Es war der Besuch meines Heimatorts in Sibirien nach dem Studium an der Wolga. In Russland herrschte Chaos. Menschen mussten Schlange stehen, um ein paar Gramm Butter gegen Versorgungschecks zu tauschen. Ein unwürdiger Anblick.

Gurken auf dem Markt

Ich ging zum Markt und traute meinen Augen nicht. Hinter der Verkaufstheke stand meine ehemalige Russischlehrerin. Sie verkaufte Gurken. Salzgurken, selbst eingelegt als Wintervorrat für die Familie. Sie, die mir einst so stolz und leidenschaftlich Puschkin beibrachte, Gogol, Bulgakow, kämpfte jetzt wie alle ums nackte Überleben. Unsere Augen trafen sich kurz. Ihr war es peinlich, mir auch, ich eilte vorbei.

Inzwischen muss niemand in Russland mehr seine letzten Salzgurken verkaufen, um über die Runden zu kommen. Aber die 10.000 bis 15.000 Rubel, die der Lehrer verdient, der mit Dmitri Medwedew neulich diskutierte, sind wenig Geld, verdammt wenig. Das weiß der Ministerpräsident Russlands. Das muss er wissen, als Chef der Russischen Regierung, als Chef der Russischen Regierungspartei.

Juri Rescheto, DW-Korrespondent in Moskau

Dass er trotzdem dem Lehrer aus der russischen Teilrepublik Dagestan empfiehlt, sich doch einen anderen Job zu suchen, um seiner Familie ein würdiges Dasein zu sichern, zeigt: Es ist dem Regierungschef offenbar völlig egal, was eben dieser Lehrer verdient. Schlimmer noch: Es scheint Medwedew egal zu sein, was er selber sagt. Wahrscheinlich merkt er nicht einmal, wie ungeschickt seine Worte sind. Wie kaltschnäuzig, höhnisch und arrogant.

Jeder andere Politiker ...

Jeder andere Politiker würde an Medwedews Stelle nach diesem verbalen Ausrutscher sofort Wahlversprechen machen und versichern, dass seine Partei Missstände beseitigt und Lehrern im Fall ihres Wahlsieges hilft. Jeder andere, nur nicht Medwedew. Und nicht in Russland. Hier bittet der Herr Ministerpräsident sein Volk lediglich, "sich halt zu gedulden". Weil im Land "nunmal kein Geld da ist". Oder eben den Job zu wechseln.

Diese Episode spielt sich nicht nur einen Monat vor der Duma-Wahl ab, sondern auch vor dem Hintergrund aktueller Enthüllungen des Anti-Korruptionsfonds von Alexey Nawalny ab. Der Oppositionspolitiker prangerte vor kurzem erst das luxuriöse Leben ranghoher Beamten in Russland an. Ganz ohne Folgen.

Denn das Volk wird im russischen Wertesystem, in der abgehobenen Welt eines Dmitri Medwedew, offensichtlich als Wesen betrachtet, dessen Stimme nicht zählt. Das nur still vor sich hin lebt. Still und ohne aufzumucksen. Als Lehrer zum Beispiel mit seinem mickrigen Lohn. Wie meine verarmte Russischlehrerin damals. Mit ihren Gurken auf dem Markt.

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