Wie viele andere vom Coronavirus geplagte Städte war London in den vergangenen Wochen geradezu eine Oase der Ruhe. Auf den Hauptstraßen, wo der Verkehr normalerweise so dicht ist, dass regelmäßig Kreuzungen versperrt werden, war kaum ein Auto zu sehen. Selbst in der Innenstadt, wo ich wohne, ist der morgendliche erste Blick aus dem Fenster erfreulich: richtig blauer Himmel! Kein vom Smog getrübtes Cityblau wie sonst, sondern Urlaubsblau. Nicht einmal die Kondensstreifen der sonst so vielen Flugzeuge trüben das Postkartenmotiv.
Statt der Autos nun überall Radfahrer, darunter auch viele Neulinge, die sich noch etwas unsicher und wackelig auf den Straßen umtun. Sie trauen sich nun hinaus, wo sie früher Angst hatten. Denn obwohl es Fahrradwege gibt und diese in den vergangenen Jahren auch ausgebaut wurden, ist London immer noch eine Stadt, die vor allem auf Autofahrer ausgerichtet ist.
Gehasst von den Autofahrern
Radfahrer müssen ständig auf der Hut sein, werden von Auto- und besonders von Taxifahrern gehasst und sogar angepöbelt. Fahrradwege sind oft nur symbolisch auf die Straße gepinselt oder enden im Nirgendwo: Der Radfahrer wird auf einer Hauptstraße plötzlich in den Verkehr gespuckt, weil die Nachbargemeinde es nicht für nötig hält, den Radweg fortzuführen.
Auch Fußgänger müssen an vielen Orten um ihr Leben zittern, selbst direkt neben den Schulen meiner Kinder sind die Ampeln nur auf Autofahrer ausgerichtet. Es gibt keine Fußgängerüberwege mit grünen Männchen, so dass die Kinder sich hastig durch die Lücken im Verkehr schlängeln müssen. Mit dem Fahrrad fährt in London kaum ein Kind zur Schule, schon gar nicht ohne die Eltern.
Jetzt im Lockdown aber sind auch Kinder mobiler, erobern auch meine Teenager die Stadt allein auf dem Fahrrad, genießen ihre neuen Freiheiten. Vor Fahrrad-Läden gibt es lange Schlangen, dort kommen sie mit der Arbeit kaum hinterher. Ich möchte, dass das Ende des Lockdowns nicht auch das Ende des Fahrrad-Booms ist. Denn schon schwillt der Verkehr auf den Hauptstraßen wieder an.
Eine einmalige Chance
Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan hat nun versprochen, einige Hauptstraßen für Autos zu sperren und mehr Straßen für Radfahrer und Fußgänger auszubauen. Einige Londoner Stadtbezirke sind bereits aktiv geworden, beruhigen den Verkehr mit großen Blumenkübeln, erweitern Bürgersteige. Im Finanzdistrikt, der sogenannten City, haben Autos kaum noch eine Chance. Andere Großstädte wie Paris oder Mailand haben ähnliche Pläne. Die müssen nun schnell umgesetzt werden, bevor immer mehr Menschen in Autos an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, weil sie sich in Bussen und Bahnen vor dem Virus fürchten.
Die Chance ist einmalig. Die Krise hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft sich quasi über Nacht radikal verändern kann, wenn nur die Notwendigkeit erkannt wird. Auch in Delhi ist der Himmel nun blau, Indiens CO2-Ausstoß ist das erste Mal seit 40 Jahren gesunken. Auch in vielen südostasiatischen Städten wie Singapur, Jakarta und Bangkok ist die Luft derzeit sauberer. Schon jetzt verzeichnen wir positive Auswirkungen: Das Centre for Research on Energy and Clean Air schätzt, dass seit der Corona-Krise europaweit 6000 Kinder kein Asthma entwickelten, dass 1900 Menschen nicht in die Notaufnahme eingeliefert werden mussten, dass 600 Babies nicht zu früh auf die Welt kamen.
Wirtschaft profitiert vom Klimaschutz
Auch der Wirtschaft wird es nützen, wenn die Politik jetzt schnell und im Sinne der Umwelt handelt. Experten in aller Welt fordern, dass Regierungen vor allem klimafreundliche Projekte fördern, um die Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder zu beleben. Eine neue Studie der Universität Oxford kommt zu dem Schluss, dass grüne Projekte mehr Arbeitsplätze schaffen und höhere Renditen einbringen, als die Förderung herkömmlicher Techniken und Produkte. Darunter fällt auch die Schaffung einer neuen, grüneren Verkehrsinfrastruktur.
Es gibt keine Ausreden mehr!