Kommentar: Scheitern als Chance
11. April 2012 Es ist ein schöner Plan: Die syrische Armee und die bewaffneten Rebellen stellen die Kampfhandlungen ein, Journalisten und humanitäre Helfer können ungehindert arbeiten, willkürlich Verhaftete werden freigelassen, die Opposition wird am politischen Prozess beteiligt und Regimegegner dürfen demonstrieren.
Die in dem Sechs-Punkte-Plan des internationalen Sondergesandten Kofi Annan vorgesehene Waffenruhe sollte in dieser Woche umgesetzt werden. Bis Donnerstagfrüh (12.04.2012) haben die Konfliktparteien Zeit, die Kämpfe einzustellen. Doch anstatt mit dem Truppenrückzug zu beginnen, hat das Regime die Protesthochburgen wie Homs weiter beschießen und bombardieren lassen. Auch die Rebellen kämpfen weiter.
Politik der Härte
Präsident Baschar al-Assad bleibt sich damit treu. Seit Beginn der Proteste vor gut einem Jahr reagiert seine Regierung zuweilen mit Scheinreformen und diplomatischen Winkelzügen auf inneren und äußeren Druck, ohne je Zweifel an ihrer Strategie aufkommen zu lassen: die Opposition mit aller Gewalt niederzuschlagen. Nach UN-Angaben kamen dabei bisher mehr als 8000 Menschen ums Leben.
Die syrische Elite glaubt noch immer, den Konflikt gewinnen zu können. Dafür hat sie durchaus Gründe: Die schlecht bewaffnete "Freie Syrische Armee" - eher ein loses Konglomerat bewaffneter Gruppen als eine Streitmacht - ist chancenlos gegen Syriens Militärmaschine, die im Großen und Ganzen weiter loyal zur Regierung steht. Auch in der Bevölkerung hat Assad noch viele Anhänger – und zwar nicht nur bei Minderheiten wie Christen und Alawiten, sondern auch bei der sunnitischen Mehrheit. Zudem konnte sich Assad der Unterstützung Chinas und Russlands gewiss sein, die im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen jegliche Verurteilung seiner Regierung verhindern.
Russland und China müssen einlenken
Doch nun brüskiert Assad auch seine letzten Verbündeten im Sicherheitsrat. Denn Russland und China unterstützen Annans Friedensplan, weil er auch die Regimegegner zu einer Waffenruhe verpflichtet und ein Fortbestehen des Assad-Regimes nicht ausschließt. Beide Regierungen haben die syrische Regierung bereits ermahnt, sich an diese Verpflichtungen zu halten. Sollte Assad nicht einlenken, kann es nicht bei einer lauwarmen Aufforderung bleiben.
Hier liegt der Schlüssel zu einer Befriedung Syriens: Denn sollten auch Moskau und Peking zu der überfälligen Einsicht gelangen, dass das Assad-Regime nicht zu halten ist, steht auch der Zusammenhalt des syrischen Machtapparates infrage. Bislang waren es vor allem Soldaten aus den unteren Rängen der Armee, die sich der Opposition angeschlossen haben. Dass hohe Funktionäre überlaufen - wie im März Abdo Hossam al-Din, Stellvertreter des Ölministers - ist noch die Ausnahme.
Den Druck verstärken
Doch eine Abkehr Russlands und Chinas wäre ein Signal an die Funktionseliten, dass das bestehende System keine Zukunft hat. Außerdem würden mit einer Ausweitung der Sanktionen die Ressourcen des Regimes weiter schwinden – und damit die Loyalität seiner Nutznießer. Das gilt insbesondere für die Armee, die den Großteil ihrer Waffen aus Russland bezieht. Schon die vom Westen und der Arabischen Liga verhängten Wirtschaftssanktionen treffen Syrien hart: Energie und einige Nahrungsmittel werden knapp, die Arbeitslosigkeit steigt.
Um Syrien zu befrieden, muss dieser internationale Druck weiter verstärkt werden. Angesichts des täglichen Mordens in Syrien sind diese Prozesse unerträglich langsam, doch es gibt keine Abkürzung - auch wenn dies die Regierungen von Saudi-Arabien und weiteren arabischen Staaten zu glauben scheinen, die die Rebellen mit Waffen versorgen. Das Kräfteverhältnis wird dadurch nicht entscheidend verändert, und die Zivilbevölkerung lebt nicht sicherer; im Gegenteil.
Mit der weiteren Militarisierung steigt zudem die Gefahr eines langen und blutigen Bürgerkriegs, in dem sich die Religionsgemeinschaften gegenüberstehen – und in den auch jede Interventionsmacht, die von außen einen Regimewechsel durchsetzen will, hineingezogen werden könnte. Der Westen tut daher gut daran, ein militärisches Eingreifen wie in Libyen zu vermeiden und weiter auf die Einbindung Chinas und vor allem Russlands zu setzen.