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Seehofers Panikmache

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Naomi Conrad
9. Oktober 2015

Flüchtlingsproblem, Völkerwanderung, Notwehr: Bayerns Ministerpräsident Seehofer schlägt in der Flüchtlingsfrage einen gefährlichen, polemischen Ton an, findet Naomi Conrad.

Bild: DW/K. Zurutuza

Notwehr: Das ist laut Duden eine Gegenwehr, zu der man durch "tätliche, gefährliche Bedrohung (…) gezwungen worden ist." Notwehr - das ist auch das Wort, das Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer derzeit gerne gebraucht. Die tätliche, gefährliche Bedrohung, der sein Land ausgesetzt sein soll? Flüchtlinge.

Bayern werde, das kündigte der CSU-Chef an, ein Maßnahmenpaket beschließen. Und das, so Seehofer, beinhalte "Maßnahmen der Notwehr zur Begrenzung der Zuwanderung". Diese "Notwehr" sieht etwa vor, Flüchtlinge einfach nach Österreich zurückzuschicken - eine Maßnahme, die nach geltendem EU-Recht mindestens fraglich ist: Denn das sieht vor, dass Flüchtlinge in das Land, in dem sie als erstes EU-Boden betreten haben, zurückgeschickt werden - und das ist bei kaum einem der Flüchtlinge Österreich, sondern meistens eher Griechenland, Italien oder Bulgarien.

Aber das ist nicht der eigentliche Skandal: Mit seiner Wortwahl schlägt Seehofer einen hoch gefährlichen Ton an: Flüchtlinge sind keine Bedrohung und auch findet derzeit keine "Völkerwanderung" statt. Anders ausgedrückt: Die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sind keine riesige homogene Masse, die auf uns zurollt und Europa zu überschwemmen droht - und die es abzuwehren gilt.

Naomi Conrad ist DW-Korrespondentin in Berlin

Nein, Flüchtlinge sind Menschen, die vor Bomben, Hunger, Krieg und Gewalt fliehen, die in der Hoffnung, Frieden und Sicherheit zu finden, beschwerliche, zum Teil lebensgefährliche Wege zurückgelegt haben. Und ja, es sind viele, beispiellos viele, die beherbergt werden müssen, die zunächst ein Dach über dem Kopf, Essen, Kleidung, später auch Deutschkurse, Ausbildung und eine Arbeit erhalten müssen - das alles sind Fragen, die übrigens auch Teil des Maßnahmenpakets der bayerischen Regierung sind und die, ganz klar, eine Herausforderung, ja sogar eine große Herausforderung sind.

Aber diese Menschen nun als Bedrohung abzustempeln, ist nicht nur beleidigend - sondern auch riskant: Denn es spielt in die Hände derer, die schon jetzt gegen Flüchtlinge hetzen und Panik schüren, die im Extremfall in Gewalt mündet. 490 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gab es allein in diesem Jahr - das ist eine erschreckende Zahl.

Wir dürfen Seehofer nicht solch einen polemischen Ton anschlagen lassen. Damit überschrillt er letztlich jede vernünftige Diskussion. Auch solche, die angesichts der aktuellen Herausforderungen dringend notwendig sind. Wir müssen eine offene, ehrliche und vor allem besonnene Diskussion führen - ohne polemisch zu werden. Das muss in einem zivilisierten Deutschland doch möglich sein!

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