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Politik

Gabriels Plädoyer für ein anderes Europa

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
5. Dezember 2017

Der deutsche Außenminister ist ungeduldig und fordert, dass Europa endlich aktiv handelt und strategisch denkt. Und nicht nur moralisch. Das wird tatsächlich höchste Zeit. Jens Thurau hat dennoch ein paar Einwände.

Vor allem auf Frankreich und seinen Präsidenten Emmanuel Macron setzt Sigmar Gabriel Bild: Getty Images/M. Tantussi

Die Analyse stimmt: Außenminister Sigmar Gabriel skizzierte vor der Körber-Stiftung eine Welt nicht im Umbruch, sondern eine schon gewandelte. Auf einen Nenner gebracht: Die Weltnachkriegsordnung ist beendet, das amerikanische Jahrhundert ist Geschichte. China strebt nach immer größerer globaler Bedeutung, die USA ziehen sich in Egoismus und Nationalismus zurück. Und noch jedes Vakuum in der Weltpolitik wurde schnell von anderen gefüllt. Das in Syrien zum Beispiel durch Russland. Oder eben von China in Afrika. Und Europa darf das alles nicht länger "von der Seitenlinie aus" (Gabriel) nur moralisch beklagen, sondern muss seine eigenen Interessen klar definieren, strategisch denken. Mit anderen Worten: Den eigenen Laden endlich aufräumen, die europäische Integration vertiefen - auch wenn das gerade alles andere als populär ist. Und Partner suchen, wo auch immer sie sich anbieten: Nicht immer - wie in der Vergangenheit - reflexartig jenseits des Atlantiks. Richtig so, nur an dieser Stelle der erste Einwand:

Einwand Nummer Eins

Ist es richtig, wie Gabriel sagt, dass die Wandlung der USA unabhängig von Donald Trump besteht? Dass die Weltmachtrolle, die des Verteidigers von Demokratie, Freiheit und von Europa in seiner alten Verfasstheit tatsächlich für alle Zeiten vorbei ist? Es stimmt, was Gabriel sagt: Schon bald werden mehr Menschen in den USA afrikanische oder lateinamerikanische Wurzeln haben und nicht mehr - wie in der bisherigen Geschichte der Vereinigten Staaaten - europäische. Aber gibt es nicht auch breiten Protest in den USA gegen den egomanischen Präsidenten? Gegen seine Arroganz und Weltvergessenheit? Haben nicht trotz eines brutalen Wahlkampfs mehr Menschen für die höchst unbeliebte Hillary Clinton gestimmt als für Trump, eben um das Schlimmste zu verhindern? Womöglich schreibt Gabriel die USA doch zu früh ab, auch wenn er betont, dass Washington "unser wichtigster Verbündeter bleibt". Vielleicht spricht aus dieser Analyse mehr die Ungeduld, endlich mit dem europäischen Projekt Ernst zu machen, als noch länger zu warten.

Jens Thurau ist Korrespondent im Hauptstadtstudio

Einwand Nummer Zwei

An dieser Stelle Einwand Nummer zwei. Gabriel hat Recht: Europa muss sich auf sich selbst besinnen, die eigenen Werte verteidigen, darauf achten, selbst mächtig zu werden, denn eine Welt ohne Machtpole ("G-Null-Welt" nennt das Gabriel) ist vor allem für Deutschland brandgefährlich. Aber er spricht dabei vor allem von der Zusammenarbeit mit Frankreich. Großbritannien kommt in seiner Rede nur einmal vor, als es kurz um den Brexit geht. Wäre es nicht richtiger, ausgehend von Berlin und Paris eben doch den Schulterschluss mit allen Europäern zu suchen, unabhängig auch von der EU? Mit London, mit dem Süden, auch mit den Osteuropäern, so irreal das im Moment klingen mag? Wenn Europa, dann alle. An dieser Stelle ist Gabriels Unwille spürbar, dass die derzeit auf Sparflamme laufende deutsche Politik immer noch nicht auf die weitreichenden Reformpläne des französischen Präsidenten Macron geantwortet hat. Oder ganz deutlich: Dass Kanzlerin Angela Merkel das noch nicht getan hat. "Was europäische Ideen angeht, steht es zur zeit 10:0 für Frankreich", ruft Gabriel in den Saal. Wieder diese Ungeduld.

Eine Bewerbungsrede

Das mag natürlich auch daran liegen, dass das eine Art Bewerbungsrede war, weitermachen zu dürfen im deutschen Außenamt. Noch vor kurzem, als in Deutschland Gespräche über eine Jamaika-Koalition geführt wurden, schien es, als wäre Gabriels Karriere am Ende. Jetzt spricht seine Partei, die SPD, wohl bald mit der Kanzlerin und ihrer CDU/CSU über eine Fortsetzung der Regierung. Vielleicht weiterhin mit einem Minister Gabriel. So schnell kann es gehen.

Und deshalb: Gabriels Analyse ist richtig und scharf. Aber wenn es stimmt, das alles im Fluss ist, sind überraschende Besserungen eben auch möglich: in den USA, vielleicht sogar in Großbritannien. Wäre nicht dumm, das im Hinterkopf zu behalten. Ansonsten stimmt die Kernaussage: Auf geht's, Europa, weg von der Seitenlinie, rein ins Getümmel. Es gibt genug Werte zu verteidigen, mit viel Hirn am Besten und etwas weniger Moral.

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