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Solidarität mit Terroropfern in Nigeria? Gerne, aber wie?

Thomas Mösch12. Januar 2015

Kleine Mädchen als Selbstmord-Attentäterinnen, täglich neue Massaker: Der Nordosten Nigerias versinkt im Blut und niemanden scheint es zu kümmern. Schuld sind auch die Nigerianer selbst, meint Thomas Mösch.

Charlie Kampagne Reaktionen in Afrika 11.01.2015
Bild: AFP/Getty Images/S. Kambou

Die Kämpfer von Boko Haram in Nigeria sind offenbar entschlossen, den Wettbewerb um die weltweit brutalste Terrorgruppe zu gewinnen. Wie im Blutrausch ziehen sie durch Dörfer und Städte. Zeitgleich schicken sie immer jüngere Mädchen als Selbstmord-Attentäterinnen los. Am Wochenende soll sich ein zehnjähriges Mädchen in die Luft gesprengt haben. Kurz vor Weihnachten war eine Dreizehnjährige mit einem Sprengstoffgürtel aufgegriffen worden.

Schon die vergangenen Monate haben gezeigt: Boko Haram geht es nur noch darum, Angst und Schrecken zu verbreiten. Mit einer wie auch immer verdrehten religiösen Agenda hat das Tun der Gruppe schon lange nichts mehr zu tun. Gefolgschaft können die selbsternannten Kämpfer für die Sache des Islam nur noch mit Drohungen oder Geld erzwingen.

Kein Aufschrei angesichts des Terrors

Erschreckend ist aber nicht nur die Brutalität von Boko Haram. Erschreckend ist auch, dass der Terror keinen Aufschrei zur Folge hat. Während in Frankreich und weltweit Millionen Menschen auf die Straßen gehen, um Abscheu über die Morde von Paris auszudrücken, herrscht selbst angesichts tausender Toter in Nigeria weitgehend Schweigen.

Schlimmer noch: Nicht einmal in Nigeria selbst regt sich nennenswerter Protest. Die wenigen Aktivisten, die immer noch tagtäglich in der Hauptstadt Abuja für die Freilassung der im April 2014 entführten Mädchen eintreten, sind ein verlorenes Häufchen. Immerhin: Die Initiatoren der Kampagne "Bring Back Our Girls" (Bringt unsere Mädchen zurück) haben im Mai vergangenen Jahres weltweite Solidarität erfahren.

Wen soll man denn unterstützen?

Dies zeigt, dass Menschen in Europa und Nordamerika durchaus bereit sind, sich zu engagieren, wenn sie wissen wofür und für wen. Und jetzt, nach den Anschlägen in Paris, haben zum Beispiel deutsche Politiker darauf hingewiesen, dass auch die Massaker in Nigeria die Aufmerksamkeit der Welt verdienen. Die Medien berichten regelmäßig darüber. Warum gehen die Menschen trotzdem nicht auf die Straße?

Ein Grund dürfte Ratlosigkeit sein angesichts einer Elite und offensichtlich auch großer Teile der Gesellschaft in Nigeria, die sich selbst nicht für die Gewalt im eigenen Lande zu interessieren scheinen. Während der französische Präsident sein ganzes Land und die halbe Welt zu Protesten einlädt, die er selbst anführt, lässt sich Nigerias Präsident Goodluck Jonathan auch nach grausamen Attentaten ungerührt bei Geburtstagsparties oder Hochzeitsfeiern ablichten. Zwischendurch schickt er Beileidsadressen nach Pakistan oder Frankreich, äußert sich aber, wenn überhaupt, nur mit Verzögerung zum Drama im Nordosten seines Landes.

Thomas Mösch leitet die Haussa-Redaktion der DWBild: DW

Nigerianische Gesellschaft in Schockstarre

Und das nigerianische Volk? Es scheint in Schockstarre verfallen zu sein. Man blickt auf die Präsidentenwahlen im Februar wie das Kaninchen auf die Schlange und scheint zu hoffen, dass sich dann irgendwie alles ändern werde. Unterdessen bewirft man sich in den sozialen Netzwerken und Zeitungen mit Dreck und beschuldigt den jeweils Anders-Gläubigen oder den Unterstützer des anderen Präsidentschaftskandidaten, den Terror zu organisieren. Wie will man so von der Welt Solidarität erwarten? Mit wem oder für wen sollten Menschen in Berlin, New York oder Kapstadt auf die Straßen gehen?

Doch Politiker in Europa und den USA, aber auch in Afrika selbst, scheinen ebenso ratlos wie die weltweite Zivilgesellschaft. Kameruns Präsident Paul Biya hat angesichts neuer Terror-Drohungen gegen sein Land gerade wieder um internationale Hilfe gebeten. Die Nachbarländer Nigerias, Frankreich, die USA, Großbritannien, sogar China, haben Abuja wiederholt Unterstützung angeboten. Doch die USA haben ihre Hilfe für das nigerianische Militär erst kürzlich wieder auf ein Minimum zurückgefahren, weil sie nicht sehen, dass dieses den Kampf gegen Boko Haram ernsthaft führt. Die Nachbarländer Niger und Kamerun sehen die Lage offensichtlich ähnlich.

Nigeria hat also in erster Linie selbst Schuld, wenn es keine Solidarität erfährt. Das ist schrecklich, denn den Preis zahlen nicht die politischen Eliten. Den Preis zahlen die täglich zahlreicher werdenden Opfer - Christen, Muslime, Männer, Frauen und Kinder.

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