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Politik

Spanien braucht eine neue politische Kultur

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
11. November 2019

Man kann nicht so lange neu wählen lassen, bis endlich eine klare Mehrheit herauskommt. Regierungsbildungen in Europa werden schwieriger. Auch Spanien muss daher die Kunst des Kompromisses lernen, meint Barbara Wesel.

Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Barrientos

Das ist schon eine ziemliche Zumutung: vier Wahlen innerhalb von vier Jahren. Und die spanischen Wähler sind bemerkenswert geduldig, weil zuletzt immer noch 70 Prozent von ihnen den Weg an die Wahlurne fanden. Aber die Stimmung bei den Bürgern ist unmissverständlich: Die Politiker müssen endlich einen Weg aus der Sackgasse und aus der Handlungsunfähigkeit finden.

Die Zeit der klaren Mehrheiten ist vorbei

Es scheint fast, als ob in Spanien seit ein paar Jahren niemand über den politischen Tellerrand geschaut hätte. Während quasi überall in Europa die Herrschaft der alten Zwei-Parteien-Konstellationen zu Ende ist und kreativere Ansätze zur Regierungsbildung gefunden werden müssen, galt in Madrid immer noch der alte Stil des bedingungslosen Gegeneinander. Politik als andauernder Zweikampf, der am Ende Sieger und Besiegte hat.

Doch auch in Spanien haben sich die Grundlagen geändert. Das Parlament ist zersplitterter denn je. Die Volksvertretung mit 19 größeren und kleineren Gruppierungen kann nur noch durch Bildung flexibler und phantasievoller Koalitionen überhaupt eine Regierung zustande bringen. Da heißt der Auftrag der Wähler, den Interessenausgleich zu suchen und ideologische Verbohrtheit beiseite zu lassen.

Dabei hat die linke Podemos-Partei zuletzt kläglich versagt. Galt sie noch vor ein paar Jahren als junger Hoffnungsträger, stürzte sie in der Wählergunst ab, weil sie sich unbeweglich und unwillig zum Regieren zeigte. Doch die Bürger erwarten von ihren Volksvertretern nicht, Fäuste schwingend im Parlament große Reden zu halten, sondern in ihrem Interesse Politik zu machen. Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie das funktionieren kann. Dort hat sich eine regelrechte Kunst entwickelt, mit der komplexe Koalitionen gezimmert werden, die in der Regel sogar ein paar Jahre halten und ziemlich stabile Regierungen tragen können.

DW-Korrespondentin Barbara Wesel

Und schaut man nach Österreich oder Deutschland, dann beweist das Beispiel der großen Koalitionen dort, dass auch die zwei Großen zusammen gehen können, wenn das eine vorübergehende Lösung bleibt. Und wenn man politisch in der Sackgasse steckt, wäre sie zumindest eine Überlegung wert. Dafür aber müssten die Lager in Spanien aus ihrer festgefahrenen Feindschaft ausbrechen.

Keine Koalition um jeden Preis

Was dabei allerdings nicht herauskommen sollte, ist die volle Flexibilität nach Rechtsaußen, ohne dass genauer hingeschaut wird, mit wem man sich da verbünden könnte. Die spanische Partido Popular (PP) hat sich der rechtsextremen Vox-Partei mit Begeisterung an die Brust geworfen, nur weil sie meint, konservativ und rechtsextrem passe besser zusammen als konservativ und sozialdemokratisch.

Aber ist das wirklich so? Will die PP eine Art Wiederauflage der Franko-Diktatur mittragen, indem sie Vox salonfähig macht? Will sie wirklich bei Frauen und Minderheitenrechten den Rückwärtsgang einlegen? Will sie tatsächlich in Katalonien den Ausnahmezustand verhängen, um die Separatistenbewegung mit Gewalt zu unterdrücken? Diese Debatte wurde bei den spanischen Konservativen nicht geführt, was die Frage aufwirft, wie verantwortlich sie politisch sind. 

Katalonien-Krise spaltet das Land 

Was für Großbritannien der Brexit ist für Spanien die Katalonien-Krise. Sie spaltet das Land und fördert einen neuen Nationalismus. Obwohl die Separatistenbewegung in der Region selbst an Zuspruch verloren hat, verstehen es die Aktivisten neuerdings, die Feuerchen immer wieder anzufachen. Und in Madrid reagiert die konservative und rechte Politik darauf nach Art des Pawlowschen Reflexes: Draufhauen gilt als einzige Antwort.

Dabei weiß jeder vernunftbegabte Mensch, dass hier nur eine politische Lösung mit Geduld und Augenmaß den Ausweg bringen kann. Ministerpräsident Pedro Sanchez hat mit einigem Erfolg den nötigen Hochseilakt zwischen Härte und Ausgleich überstanden. Aber die absurde Kompromisslosigkeit der Rechten setzt ihn zunehmend unter Druck.

Eine neue politische Kultur

Spaniens Politik braucht weniger Ideologie und Emotion und mehr praktische Vernunft. Die Zeiten, in denen man sie als Spiel um Alles oder Nichts verstehen konnte, sind vorbei. Es kann nicht mehr um blindes Lagerdenken gehen. Aber bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass das Land und seine Politik aus den alten schlechten Gewohnheiten ausbrechen. Ob die Verantwortlichen in Madrid das schaffen, ist offen. Aber im Grunde haben sie keine andere Chance. Würden sie ihre Unfähigkeit erneut beim Wähler abladen, wäre das wirklich der größte anzunehmende politische Unfall.

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