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Politik

Steinmeiers demütiges Gedenken

23. Januar 2020

Der Bundespräsident spricht 75 Jahre nach Auschwitz in der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem über deutsche Schuld und Verantwortung. Dabei trifft er den richtigen Ton, meint Marcel Fürstenau.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verneigt sich im Gedenken an die Opfer des HolocaustsBild: Reuters/Pool/R. Zvulun

"Welche Gnade, welches Geschenk, dass ich heute hier in Yad Vashem zu Ihnen sprechen darf", sagt Frank-Walter Steinmeier zu Beginn seiner Rede im Rahmen des "World Holocaust Forums". Und tatsächlich ist es alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass der deutsche Bundespräsident am zentralen Ort des Holocaust-Gedenkens in Israel das Wort ergreifen kann. Er, der höchste Repräsentant aus dem Land der Täter. Einer, dessen Eltern- und Großelterngeneration bis 1945 sechs Millionen Juden planmäßig ermordet hat.

75 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz bedankt sich Steinmeier für die "ausgestreckte Hand der Überlebenden". Das Deutschland  von Menschen in Israel und der ganzen Welt entgegenbrachte "neue Vertrauen" bezeichnet er als das, was es ist: ein "Wunder der Versöhnung". Demütige Worte, die niemals routiniert und pflichtbewusst anmuten dürfen. Steinmeier verknüpft die Unvergänglichkeit der Auschwitz-Schuld mit der immer größer werdenden Schande dieser Tage: dem nicht erst seit 2020 wieder offen zu Tage tretenden Judenhass in Deutschland.

Die Schande von Halle

Der Bundespräsident könnte auch auf den Antisemitismus in vielen anderen Ländern verweisen. Gut, dass er es unterlässt. Es könnte unbeabsichtigt relativierend klingen. Und so wird Steinmeier seiner Verantwortung in besonderer Weise gerecht, wenn er die "bösen Geister" des alltäglichen Antisemitismus bei sich zu Hause schonungslos benennt. Ausdrücklich erwähnt er das fehlgeschlagene Attentat eines Rechtsterroristen auf die Synagoge in Halle an der Saale am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Das deutsche Staatsoberhaupt trifft mit jedem Wort den richtigen Ton: "Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse."

DW-Redakteur Marcel FürstenauBild: DW

Die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem ist zweifelsfrei ein geeigneter, würdiger Ort für Steinmeiers Scham. Gefühle, die ihn vielleicht mehr noch am authentischen Ort des größten Menschheitsverbrechens ergreifen werden. Dorthin, nach Auschwitz, wird er am kommenden Montag reisen, wenn am historischen Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers durch die Rote Armee der damaligen Sowjetunion gedacht wird.

Schade, dass Polens Präsident Duda in Yad Vashem nicht reden durfte

Dann wird auch der polnische Präsident Andrzej Duda dabei sein. Der Veranstaltung in Yad Vashem ist er ferngeblieben, weil er nicht als Redner vorgesehen war. Anders als Steinmeier und unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin. Dudas Verärgerung ist so verständlich wie bedauerlich. Denn in Auschwitz, dem von Nazi-Deutschland errichteten Vernichtungslager auf besetztem polnischen Staatsgebiet, starben mehrere hunderttausend Polen - auch sie zum größten Teil jüdischen Glaubens. Allein deshalb wäre es richtig und wichtig gewesen, Duda auch in Yad Vashem reden zu lassen.

Die Verstimmung über das vermeintlich richtige Auschwitz-Gedenken zeigt auf fast schon tragische Weise, wie sehr die Schatten der Vergangenheit noch immer oder schon wieder in die Gegenwart hineinreichen. Daran kann auch die bemerkenswerte, historische Rede des deutschen Bundespräsidenten in Yad Vashem leider nichts ändern.        

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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