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Politik

Die Kehrseite der Migrationspolitik

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
5. Juli 2018

Die Offensive des Assad-Regimes in Daraa zwingt erneut hunderttausende Syrer zur Flucht. Diesen Menschen muss man helfen, meint Kersten Knipp. Aber auf Grundlage der bisherigen Flüchtlingspolitik ist das unmöglich.

Flüchtlingstreck aus dem syrischen Daraa in Richtung der Grenze zu Jordanien. Die wurde aber geschlossenBild: picture-alliance/dpa

Flächenbombardements, gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Spitäler, Schulen: Das Assad-Regime setzt bei dem Sturm auf die Provinz Daraa ganz auf seine inzwischen bewährte Todesmaschinerie - gerichtet gegen die eigene Bevölkerung. Nicht, dass diese samt und sonders aus bewaffneten Oppositionellen bestünde. Die meisten Menschen haben einfach nur das Pech, in einem Gebiet zu leben, in dem diese Oppositionellen sich bislang halten konnten. Assads Methode darum: Gezielte Angriffe auf Zivilisten, sie so unter Druck setzen, dass sie die Oppositionellen zum Einlenken bewegen. Die Regimegegner können aber nicht aufgeben, da dies für sie hieße, das eigene Todesurteil zu unterschreiben. Denn Gefangene macht das Regime unter seinen Gegnern selten. Es zieht vor, sie zu töten - sei es auf der Stelle, sei es, nachdem man sie zuvor gefoltert hat.

Mit Daraa trifft es nun jene Stadt, von welcher der Aufstand in Syrien vor über sieben Jahren seinen Anfang nahm. Genau diese Stadt nun wieder unter die eigene Herrschaft zu bringen, dürfte für das Regime darum ein besonderer Triumph sein. Mit dem Fall von Daraa wäre die gesamte Revolution niedergeschlagen, die "Terroristen", wie  Assad seine Gegner nennt, wären endgültig besiegt. Die "Terroristen" - das sind insbesondere in Daraa die kläglichen Reste derer, die im Jahr 2011 ihre durchweg säkular motivierten Forderungen vortrugen, auf Demokratie und politische Freiheiten drängten. Einige von ihnen forderten im Überschwang auch den Sturz des Regimes.

DW-Autor Kersten Knipp

Assads hegemonialer Traum

Das brutale Vorgehen gegen die Oppositionellen zeigt, welche Art politischer Ordnung Assad für die Zukunft Syriens vorschwebt: eine hegemoniale Herrschaft, in der es keine Opposition mehr gibt. Sein Ideal ist eine in der Unterwerfung unter das Regime geeinte Bevölkerung, im Griff gehalten durch eine nordkoreanisch anmutende Mischung aus aufgesetzter Begeisterung und realer Furcht.

Für viele der ins Ausland geflohenen Syrer wird in dieser sich formierenden Diktatur kein Platz mehr sein. Das kürzlich publizierte "Gesetz Nr. 10", das Enteignungen in großem Stil vorsieht, lässt erkennen, wohin die Reise für viele von ihnen gehen soll: keinesfalls zurück nach Syrien. Menschen, die vor dem Regime geflohen sind, erkennt dieses nicht mehr als seine Bürger an und enteignet sie. Der syrische Staat ist künftig Privatbesitz seiner Führung.

Wohin mit den neuen Flüchtlingen?

Offen ist darum auch das Schicksal der mehr als 300.000 Syrer, die aktuell vor den Kämpfen rund um Daraa geflohen sind und jetzt an den Grenzen zu Jordanien und Israel ausharren. Sie hoffen, zumindest dort nicht zum Ziel der Kampfjets und Fassbomben des Regimes zu werden.

In Europa beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge. Wie soll man sich gegenüber einer potenziell neuen Flüchtlingswelle verhalten? Angesichts der vielen Menschen, die seit 2015 nach Europa gekommen sind, ist die EU-Bevölkerung in größte Unruhe geraten. Rechtspopulistische Parteien sind in nahezu allen Ländern auf dem Vormarsch, vereint in der Opposition gegen die Aufnahme weiterer Migranten. Ein Ende ihres Zuwachses ist nicht absehbar, im Gegenteil.

Die bisherige Flüchtlingspolitik - ein Fehler?

Es beginnt sich zu rächen, dass Europa, dass insbesondere auch Deutschland zwischen den vielen, die Einlass begehren, keinerlei Unterschiede macht. Die Großzügigkeit der vergangenen Jahre war ja vor allem motiviert durch die Not der an Leib und Leben bedrohten syrischen Flüchtlinge. Ihnen wollte man schnell und unkompliziert helfen. Diese Großzügigkeit sprach sich aber weltweit in Windeseile herum - und löste Wanderungsbewegungen auch in Regionen aus, die von Syrien denkbar weit entfernt sind und in denen ganz andere Umstände herrschen. Deutschland und die EU fanden nicht die Kraft, zwischen Kriegsflüchtlingen und Armutsmigranten zu unterscheiden: Hinein kam, wer immer den Sprung schaffte.

Das hat die Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Menschen in Deutschland und der EU enorm geschwächt - mit der Folge, dass die, die des Schutzes am nötigsten bedürfen, sich inzwischen den größten Hindernissen gegenübersehen.

Der Zwang, zu unterscheiden

Insbesondere Deutschland ist mit seiner generellen Aufnahmebereitschaft ein hohes Risiko eingegangen, dessen Folgen politisch - mit dem Einzug der AfD als stärkste Oppositionspartei in den Bundestag - bereits offenbar sind. Die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Politik beginnen sich hingegen erst langsam abzuzeichnen.

Dass sich diese Großzügigkeit - oder sollte man sagen: Sorglosigkeit? - nun ausgerechnet gegen jene wendet, die der Hilfe am dringendsten bedürfen, ist geradezu zynisch. Menschen, die in ihrer Heimat akuter Lebensgefahr ausgesetzt sind, muss man helfen - auch durch entsprechende Einreisegenehmigungen. Die politischen Erschütterungen in Deutschland und Europa legen aber den Schluss nahe, dass man die Großzügigkeit gegenüber anderen, die sich allenfalls durch ihre Flucht selbst in Gefahr gebracht haben, einschränken muss.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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