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Komödie statt Historie

Jochen Kürten
Jochen Kürten
25. August 2016

"Toni Erdmann" geht für Deutschland ins Oscar-Rennen. Der Film von Regisseurin Maren Ade setzte sich gegen sieben Konkurrenten durch. Eine wegweisende Entscheidung, meint Jochen Kürten.

Szene aus "Toni Erdmann": Ines (Sandra Hüller) und Winfried (Peter Simonischek) beim BotschaftsempfangBild: Komplizen Film

Damit war nicht zu rechnen. Dass eine unabhängige Jury jetzt "Toni Erdmann" ausgewählt hat für das Rennen um den Oscar, ist eine Überraschung. Viele Experten hatten gewettet, dass wieder ein Werk mit historischer Thematik nominiert werden würde. Warum? Weil solche Filme normalerweise die besten Chancen haben. 2007 gewann "Das Leben der Anderen" einen Oscar, zwei Jahre später erhielt "Der Baader Meinhof Komplex" eine Nominierung, ebenso "Das weiße Band" im Jahr darauf. Und auch in Caroline Links oscargekröntem Film "Nirgendwo in Afrika" (Sieger im Jahre 2003) ging es ja um deutsche Geschichte, wenn auch "nur" um deren Auswirkungen in der Fremde.

Doch vielleicht sind auch die Mitglieder der "German Films"-Jury ins Grübeln gekommen. Denn weder 2014 (mit "Zwei Leben") noch im vergangenen Jahr ("Das Labyrinth des Schweigens") hatte es geklappt. Auch diese beiden Filme beschäftigten sich mit dem Erbe und der Bewältigung des Nationalsozialismus. Beide Filme wurden von der Oscar-Akademie übergangen und nicht nominiert.

Hollywoods Brosamen für das internationale Kino

Bei der jetzigen nationalen Vorauswahl handelt es sich nur um die Entscheidung, welchen Film die Deutschen vorschlagen. Das heißt keinesfalls, dass Hollywood auch zugreift. Denn die Akademiemitglieder haben die Auswahl aus Filmen aus aller Herren Länder. Die müssen alle gesichtet werden. Und dann werden schlussendlich fünf Filme ausgewählt, die eine offizielle Oscarnominierung erhalten. Und die gilt dann ausschließlich für die Kategorie "Bester nichtenglischsprachiger Film". Diese Kategorie spielt während der aufwendigen und in alle Welt übertragenen Live-Ausstrahlung der Oscar-Zeremonie im Übrigen nur eine untergeordnete Rolle. Es sind Hollywoods Brosamen für das Weltkino.

Jochen Kürten

Deutsche Komödie - das funktioniert auch international

Doch zurück zu "Toni Erdmann". Die Jury ist unbedingt zu beglückwünschen. Denn der Film von Regisseurin Maren Ade hat schon jetzt viel für das Ansehen des deutschen Kinos im Ausland getan. Bei seiner Weltpremiere im Mai in Cannes hat er das Publikum verzückt - vor allem auch das amerikanische, das britische, das französische. Ein deutscher Film bringt die Zuschauer zum Lachen? Deutsches Kino, das lustig, aber nicht platt ist? Ja, das geht! Maren Ade hat vermutlich mehr für das Image der Deutschen getan, als viele offizielle Kulturbotschafter des Landes.

"Toni Erdmann" ist ein ganz besonderer Film, er ist hintergründig und charmant, umwerfend gespielt und auch brandaktuell - es geht schließlich um die globalisierte Wirtschaft und die Frage, was die aus den Menschen macht. Aber Ade erzählt diese Geschichte eben nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern witzig und mit vielen skurrilen Details.

Diesmal keine Vergangenheitsbewältigung für Hollywood

Viele Beobachter des deutschen Kinos hatten damit gerechnet, dass die Jury "Das Tagebuch der Anne Frank", einen redlichen Film über die berühmten Aufzeichnungen des Mädchens aus Amsterdam, auswählen würde. Oder "Der Staat gegen Fritz Bauer".

Doch die Jury hat anders entschieden. Und das ist gut so. Weil "Toni Erdmann" für ein anderes deutsches Kino steht, für ein unkonventionelleres, ein mutigeres, ein überraschenderes. Weil es ein aufgeschlossenes, humorvolles Deutschland zeigt, das über sich selbst lachen kann. Deshalb war Ades Film in Cannes der Liebling des internationalen (!) Publikums und auch der Kritik. Die Oscar-Akademie hat jetzt die Chance der "Wiedergutmachung".

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