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Politik

Tunesier, nehmt eure Dschihadisten zurück!

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
12. Januar 2017

Viele Tunesier wollen nicht, dass ihre dschihadistischen Landsleute aus dem Ausland zurückkehren. Einige ihrer Argumente sind nachvollziehbar, meint Kersten Knipp. Und doch ist das Ansinnen letztlich zynisch.

Demonstration am 8. Januar in der tunesischen Hauptstadt TunisBild: Reuters/Z. Souissi

Im Kern sind Tunesier und der überwiegende Rest der Welt sich einig: Dschihadisten will niemand. In keinem Land dieser Welt sind die pseudoreligiösen Mörder und Vergewaltiger willkommen. Leute dieses Schlages meidet man, wo es nur irgend geht. Und man meidet sie nicht nur, sondern sähe sie am liebsten hinter Gittern.

Wenig gut dürften die Bürger anderer Staaten hingegen nachvollziehen, warum Tunesien, wie von einigen seiner Bürger vorgeschlagen, Verbrecher mit tunesischer Staatsbürgerschaft nicht zurücknehmen sollte. Warum sollen sie, die anderen Staaten, zur Verantwortung für ein Problem Tunesiens herangezogen werden? Polemisch zugespitzt, aber nach dem Terrorakt von Anis Amri in der Sache wohl treffend: Sollen Bürger anderer Staaten darunter leiden, dass Tunesien seine Schwerkriminellen nicht mehr haben will? Es ist schon ein Skandal, dass auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ein Dutzend Menschen - Deutsche ebenso wie ihre internationalen Gäste - nicht nur wegen deutschen Behördenversagens sterben mussten, sondern auch darum, weil Amris Papiere aus Tunesien so lange auf sich warten ließen. Und jetzt zu fordern, dass auch andere schwerst missratene Söhne des Landes möglichst anderswo, weit weg von der Heimat bleiben sollten, hat mit internationaler Kooperation wenig zu tun.

Eine fragile junge Demokratie

Gewiss: Tunesien ist eine junge Demokratie, hervorgegangen aus einer Diktatur. Das Land ist ökonomisch schwach. Das kann sich leicht auf die Stabilität des Rechtsstaates und seiner Strukturen auswirken. Umso bewundernswerter ist der Wille der Tunesier, gerade im Rechtssystem keine Kompromisse zu machen, die Rechtsbeugungen der Diktatur Ben Ali nicht zu wiederholen. Vor Gericht auch mit Schwerstkriminellen nach klaren rechtstaatlichen Standards umzugehen, ist ein hoher Anspruch, der das Land von den meisten anderen Staaten der Region unterscheidet. Es wiegt darum schwer, dass die Gerichte des Landes den Dschihadisten ihre im Ausland begangenen Straftaten oft nicht nachweisen können - die radikalen Heimkehrer also auf freiem Fuß bleiben. Doch andere Staaten, auch Deutschland, stehen vor demselben Problem.

DW-Autor Kersten Knipp

Außerdem kann Schwäche keine Entschuldigung sein. Auch Irak und Syrien sind derzeit keine sonderlich starken Staaten. Ist den Demonstranten das gleichgültig? Ist es ihnen lieber, wenn ihre dschihadistischen Landsleute diese Staaten schwächen statt den eigenen? Rund 5000 Tunesier sind in den "Dschihad" gezogen, überwiegend in die Staaten des Nahen Ostens. Käme auch nur ein Teil von ihnen nach Hause zurück, wäre das eine erhebliche Gefährdung für die junge tunesische Demokratie. Aber auch Syrer und Iraker träumen von Frieden und Stabilität. Sie haben hinreichend mit aus ihrer eigenen Ländern stammenden Gotteskämpfern zu tun. Warum sie nun auch noch die aus Tunesien stammenden Terroristen ertragen sollen, dürfte sich ihnen schwer erschließen. Ebenso sollte sich Tunesien dadurch herausgefordert fühlen, dass es zwei seiner Staatsbürger waren, die zwei der schwersten Terrorakte des vergangenen Jahres in Westeuropa begangen haben - in Nizza und Berlin. Kann es einem Land angelegen sein, international als derart unkooperativ im Umgang mit Terroristen betrachtet zu werden?

Tunesien steht in der Pflicht

Es stimmt: Anis Amri hat sich offenbar erst in Europa radikalisiert. Aber die ersten Schritte in diese Richtung hat er in Tunesien getan. Dort hatte er die kriminelle Karriere begonnen, die schließlich, nach Zwischenstationen in italienischen Gefängnissen und deutschen Flüchtlingslagern, in Berlin in der mörderischen LKW-Fahrt mündete. Und schon ein halbes Jahr vor dieser Tat waren deutsche Behörden zu der Entscheidung gelangt, dieser Mann sei abzuschieben.

Jedes Land ist für seine Staatsbürger verantwortlich und muss sie zurücknehmen, wenn sie anderswo aus guten Gründen zur unerwünschten Person erklärt werden. Nur dann kommt ein zivilisierter Staat seiner Verantwortung angemessen nach. Alles andere hat einen faden Beigeschmack.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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