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Politik

Vom Sinn und Unsinn einer Gaspipeline

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
9. Januar 2020

Wladimir Putin hat nicht das bekommen, was er wollte. Und Gazprom hat übermäßig viel Geld im Schwarzen Meer versenkt. Aber dafür können Recep Tayyip Erdogan, die Türkei und Bulgarien sich freuen, meint Andrey Gurkov.

Die Präsidenten Putin (li.) und Erdogan bei der Eröffnungszeremonie für die neue Pipeline am Mittwoch in IstanbulBild: picture-alliance/AA/I. Terli

Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin haben am 8. Januar in Istanbul mit orientalischem Pomp die Inbetriebnahme der russischen Gaspipeline Turkish Stream gefeiert. Für den türkischen Präsidenten war es ein Heimspiel, und er hatte allen Grund, die überschwänglichen Lobreden zu genießen: Er hat das bekommen, was er wollte.

Nämlich eine nagelneue Gaspipeline, die den entwickelten europäischen Teil der Türkei westlich des Bosporus über das Schwarze Meer direkt aus Russland mit Erdgas beliefert, dazu noch mit einem satten Preisabschlag. Früher bekam dieser Landesteil russisches Gas über die Ukraine, Moldawien, Rumänien und Bulgarien, nun gibt es keine Durchleitungsgebühren mehr und auch keine Transitrisiken.

Wladimir Putins geopolitischer Plan ging nicht auf

Im Unterschied zu seinem Gastgeber musste der russische Präsident eine gute Miene zu einem für ihn ungünstig gelaufenen geopolitischen Spiel machen. Wladimir Putin, der für den halbstaatlichen Konzern Gazprom die strategischen Entscheidungen trifft, hat bei weitem nicht das bekommen, was er wollte. Denn für den Kreml bestand der eigentliche Sinn der Turkish Stream darin, dass sie zusammen mit der Nord Stream 2, die nach Deutschland geht, der Ukraine den Gastransit in die EU entzieht - als Strafe dafür, dass das Nachbarland nicht in Richtung Russland, sondern nach Europa strebt.

Deshalb wurden beide Pipelines gleichzeitig gebaut, deshalb sollten beide Ende 2019 pünktlich zum Auslaufen des zehnjährigen russisch-ukrainischen Gasvertrages in Betrieb gehen. Dieser Plan ist aus mehreren Gründen nicht aufgegangen, unter anderem wegen der jüngsten US-Sanktionen, die im Dezember denn Bau der fast fertigen Nord Stream 2 stoppten.

Gazprom musste also, um weiter seinen wichtigsten Markt, die EU, beliefern zu können, Ende Dezember einen neuen Transitvertrag mit der Ukraine abschließen, bei ihr für fünf Jahre verbindlich erhebliche Transportkapazitäten buchen, einer Erhöhung der Durchleitungsgebühr zustimmen und dazu noch fast drei Milliarden US-Dollar Altschulden bezahlen.

Fatal für die Rentabilität: aus vier Strängen wurden zwei

Das alles hat den geostrategischen Plan Putins durchkreuzt - und somit die Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Turkish Stream wieder hochaktuell werden lassen. Brauchen Gazprom und Russland in der neuen Situation tatsächlich diese Pipeline, besonders in ihrem jetzigen - halbierten - Zustand?

DW-Redakteur Andrey Gurkov

Denn ursprünglich sollte sie aus vier parallelen Rohren bestehen. Vor etwas mehr als fünf Jahren hieß das Projekt noch South Stream, und die Leitung sollte von Russland über das Schwarze Meer nach Bulgarien und somit direkt in die EU gehen. Aber die mit Sofia getroffenen Vereinbarungen waren nicht EU-konform, es gab Druck aus Brüssel und auch aus Washington. Doch statt zu verhandeln und nach Lösungen zu suchen ließ Wladimir Putin das ganze Projekt kurzerhand platzen und verkündete im Dezember 2014 nach einem Treffen mit Erdogan in Ankara, dass die vier Stränge nun in die Türkei umgeleitet werden und Europa künftig von dort beliefert wird.

Kurze Zeit später wollte Erdogan von vier Strängen allerdings nichts mehr wissen, ihm war nur noch der eine in die Westtürkei wichtig. Schließlich einigte man sich auf zwei. Diese Halbierung der Transportkapazität war höchstwahrscheinlich der Todesstoß für die künftige Rentabilität der Turkish Stream, deren Kosten die russische Seite offiziell mit enormen sieben Milliarden Dollar beziffert.

Noch keine Anbindungs-Pipeline in der EU

Nicht mitgerechnet sind dabei allerdings die Summen, die Gazprom buchstäblich in den Sand gesetzt hat, weil aus Sibirien zwei Gaspipelines über tausende Kilometer zur russischen Schwarzmeerküste verlegt wurden, um die vier angedachten Stränge der South Stream zu befüllen: eine von diesen Pipelines erwies sich als völlig nutzlos. Auch die horrenden Stornogebühren für die gebuchten Spezialschiffe, die die Rohre der South Stream in großer Meerestiefe verlegen sollten, müssen in der Gesamtkostenrechnung der Turkish Stream berücksichtigt werden.      

Kurzum, Gazprom hat für dieses Projekt übermäßig viel Geld ausgeben müssen, bekommt dafür aber statt der drei ursprünglichen Stränge in Richtung EU lediglich einen. Und selbst der ist noch nicht voll einsatzfähig, was man angesichts der Feierlichkeiten in Istanbul allerdings leicht übersehen konnte. Die Infrastruktur auf türkischem Boden ist nämlich schon fertig, aber auf Seiten der EU fehlt noch jene Pipeline, die groß genug wäre, um die Lieferungen aus dem zweiten Strang aufzunehmen und zu transportieren.

Bulgarien bekommt neue Infrastruktur und Transitgebühren

Das liegt in erster Linie daran, dass Gazprom auf Anweisung aus dem Kreml viel zu lange vergeblich auf eine Anbindungs-Pipeline durch Griechenland nach Italien hoffte und Bulgarien als Transitland ausschloss, schließlich galt es die slawischen Brüder für ihre Unnachgiebigkeit in Sachen South Stream zu bestrafen. Erst 2018 rang man sich in Moskau dazu durch, der Realität ins Auge zu schauen und den nord-westlichen Nachbarn der Türkei als naheliegendsten Partner zu akzeptieren.

Und so zählt Bulgarien neben der Türkei zu den größten Nutznießern der russischen Turkish Stream. In diesem armen und strukturschwachen EU-Land wird bis Ende 2020 jene Pipeline gebaut, über die der Großteil des Gases aus dem zweiten Strang über Serbien (ein weiterer großer Gewinner des Projektes), Ungarn und die Slowakei zur österreichischen Erdgasdrehscheibe Baumgarten fließen wird. Schon jetzt werden über bulgarische Leitungen Nordmazedonien und Griechenland beliefert.

In allen Fällen stehen Sofia entsprechende Transitzahlungen zu. Die staatliche Gasvertriebsfirma Bulgargaz hat mit Gazprom einen für sie günstigen Vertrag über Durchleitungsgebühren bis 2030 ausgehandelt und freut sich über bevorstehende Mehreinnahmen von Dutzenden Millionen Euro. Das bulgarische Energieministerium geht davon aus, dass bereits im 1. Quartal die Gaspreise im Land um fünf Prozent fallen könnten. Russische Verbraucher haben dagegen keine Preissenkungen durch Turkish Stream zu erwarten.

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