Ukraine an der Schwelle zum Bürgerkrieg
6. Mai 2014In der Ukraine droht ein Flächenbrand mit fürchterlichen Konsequenzen. Ein Bürgerkrieg in dem Land würde Europa in zwei Blöcke spalten, die sich politisch, wirtschaftlich und militärisch in einer Konfrontation gegenüber stünden. Die Ukraine würde in Chaos und Gewalt versinken. Es käme zu einer humanitären Katastrophe.
Hunderttausende Menschen würden vor einem Bürgerkrieg fliehen. Ein solches europäisches Syrien kann niemand wollen, weder die Separatisten in Donezk noch die Regierung in Kiew. Auch für Moskau und Brüssel wäre ein solches Szenario der Alptraum. Insbesondere die Nachbarländer - Russland, Polen und andere angrenzende EU-Staaten - wären mit dem Leid der Menschen konfrontiert. Sie müssten helfen mit Lebensmitteln, Medikamenten und Notunterkünften.
Militante Kräfte wollen einen Krieg entfachen
Zu diesem Szenario muss es nicht kommen. Doch es wird immer schwerer, den Zerfall der Ukraine aufzuhalten. Zumal dieser Prozess nicht nur von innen, sondern auch von außen, von Russland angetrieben wird. Ukrainer und Russen seien ein Volk, behauptet Kreml-Chef Wladimir Putin in seiner nationalistischen Rhetorik. In Wahrheit treibt er einen Keil zwischen die Menschen, während zugleich militante Extremisten mit Unterstützung aus Moskau dabei sind, einen Krieg zu entfachen.
Die Annexion der Krim durch Russland und das gewaltsame Vorgehen prorussischer Gruppierungen im Osten und mit Odessa inzwischen auch im Süden der Ukraine haben das Zusammenleben der Menschen in der Ukraine in nur wenigen Wochen völlig verändert. Die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer war immer eine multi-kulturell geprägte und weltoffene Metropole. Jetzt ist sie ein Unruheherd. In Donezk haben Russen und Ukrainer in gemeinsamer Arbeit die wichtigste Industrieregion der Ukraine aufgebaut. Und nun sieht es so aus, als würden die Aufbauleistungen von Generationen zerstört.
Wut und Hass statt Dialog und Kompromiss
Wut und Hass bestimmen immer mehr das Vorgehen auf beiden Seiten. Wo sind die besonnenen Politiker, die aufeinander zu gehen? Die Regierung in Kiew muss sich stärker als bisher um einen Dialog mit den Menschen im Osten bemühen. Sie hat das Recht, gegen militante Separatisten vorzugehen, die sich in Gebäuden verschanzen und Menschen als Geiseln nehmen. Aber sie muss auch politische Konzepte auf den Tisch legen, die das Land einen könnten. Dazu gehört auch die Debatte über eine Föderalisierung und mehr Autonomie für die einzelnen Regionen der Ukraine.
Auch die Politiker und Unternehmer aus dem Osten der Ukraine müssen mehr tun. Sie spielten immer eine große politische Rolle in der Ukraine. Jetzt schauen manche dieser einflussreichen Leute einfach nur zu, wie das Land auseinander fällt.
Russland kann einen Bürgerkrieg verhindern
Und schließlich Russland: Wenn der Kreml, wie er behauptet, an einer politischen Lösung der Krise in der Ukraine interessiert ist, dann sollte er die sogenannten prorussischen Kräfte dazu bringen, sich an einen Verhandlungstisch mit Kiew zu setzen. Stattdessen betreibt der Kreml weiter eine Kampagne gegen die Führung in Kiew. Er fördert Unruhen mit dem Ziel, die geplanten ukrainischen Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu verhindern, weil er keine Demokratie und Reformen in der Ukraine will.
Dass Moskau unmittelbaren Einfluss auf die Separatisten hat, beweist die Freilassung der OSZE-Beobachter. Wenn Russland wollte, dann könnte auch eine politische Lösung für den Ukraine-Konflikt gefunden werden. Die EU, der Europarat, die OSZE, sogar der UNO-Generalsekretär helfen bereits. Wenn auch Russland einen Bürgerkrieg in der Ukraine verhindern will, dann sollte es sich den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft anschließen.
Bernd Johann ist Leiter der Ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle