1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Venezuelas Regime hat sich verkalkuliert

Thofern Uta 62 Latin Berlin 201503 18
Uta Thofern
6. Januar 2020

Die antidemokratische Wahl-Farce zur Installierung eines regimegetreuen Parlamentspräsidenten ist den Chavisten auf die Füße gefallen: Oppositionsführer Guaidó geht gestärkt aus den Turbulenzen hervor, meint Uta Thofern.

Bild: picture-alliance/dpa/C. Cabral

Diesmal sind die Pseudo-Sozialisten in Caracas einen Schritt zu weit gegangen. Zu durchsichtig war der Versuch, die Wiederwahl Juan Guaidós zum Parlamentspräsidenten zu verhindern, indem man seine oppositionelle Mehrheit einfach aussperrte. Zu deutlich diesmal die totale Verachtung der Chavisten für die Demokratie und ihre wichtigste Institution, das frei gewählte Parlament.

Nun ist es nicht neu, dass Venezuelas Regime Menschenrechte mit Füßen tritt, rechtsstaatliche Prinzipien konsequent missachtet und die Gewaltenteilung aushebelt. Und Staatschef Nicolás Maduro wird wohl auch diesmal davonkommen, im Staatsapparat scheint seine Macht immer noch stabil. Aber er ist international geschwächt, und Maduro hat seinen bisher gefährlichsten Gegner gestärkt.

Komplott der Chavisten

Juan Guiadó, der sich vor knapp einem Jahr - als ehedem unbekannter junger Abgeordneter - zum Interimspräsidenten Venezuelas ausrief, zog seine ganze Legitimität aus seiner damals erstmaligen Wahl zum Parlamentspräsidenten. Zur Erinnerung: Die Volksvertretung in Caracas mit ihrer überwältigenden Oppositionsmehrheit ist die einzige noch demokratische legitimierte Institution in Venezuela - nachdem die Chavisten zunächst das Oberste Gericht und die Wahlbehörde unter ihre Kontrolle gebracht hatten, dann ein alternatives "Parlament" installierten und zuletzt Maduro sich in einer höchst umstrittenen Schein-Wahl vorzeitig als Präsident bestätigen ließ.

Uta Thofern leitet die DW-Lateinamerika-Programme

Je nach Interpretation hatte Venezuela damit kein rechtmäßiges Staatsoberhaupt mehr. In so einem Fall sieht die Verfassung vor, dass der Parlamentspräsident übernimmt und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellt. Guaidó ergriff die Chance - und scheiterte. Die Bestätigung in seiner Rolle durch die Wiederwahl am Sonntag hätte durchaus knapp oder ganz ausfallen können. Das Komplott der Chavisten hat die Opposition offensichtlich wieder zusammengeschweißt.

Gemessen an dem, was er versprach, hat der Oppositionsführer nichts erreicht. Guiadó war angetreten, um Neuwahlen herbeizuführen - theoretisch hätten sie sogar innerhalb von 30 Tagen ausgerufen werden müssen. Und er wollte die Gewaltenteilung in Venezuela wiederherstellen. Doch obwohl fast 60 Länder, darunter auch Deutschland, Guiadó auch nach dieser Frist uneingeschränkt anerkannten, das mantrahaft beschworene "Ende der Usurpation" ist nicht eingetreten.

Das Militär steht weiterhin zu Maduro. Auch der Nachweis durch einen Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin von fast 7000 außergerichtlichen Hinrichtungen und andere massiver Menschenrechtsverletzungen änderte nichts daran, dass der Staatschef fest im Sattel sitzt. Maduro schaffte es zuletzt sogar, die desolate Wirtschaftslage im Land wieder etwas zu beruhigen - nicht nur mit russischer und chinesischer Hilfe, sondern auch, indem er Geschäfte mit dem Geld der verhassten US-Amerikaner zuließ und damit letztlich auch noch die Massenflucht zu seinen Gunsten ausnutzte. Die geflohenen Venezolaner tragen mit ihren Rücksendungen nun ganz offiziell dazu bei, dass es in diesem armen Ölland wieder ein paar Konsumgüter zu kaufen gibt.

Sechs Millionen Flüchtlinge

Weiterhin verlassen jeden Tag Tausende ihr Heimatland. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass Ende des Jahres sechs Millionen Venezolaner geflohen sein werden. Damit hätte Maduro in seiner Amtszeit jeden fünften Einwohner vertrieben. Die große Hoffnung, die Juan Guiadó zu Beginn des vergangenen Jahres geweckt hatte, schien in sich zusammengefallen. Als die Opposition in den vergangenen Wochen unter dem Eindruck der Massendemonstrationen in Chile und Kolumbien auch in Venezuela versuchte, wieder größere Proteste auf die Beine zu stellen, war die Resonanz spärlich.

Doch der Plan von Maduros Chavisten, Juan Guiadó nun endgültig aus dem Ring zu werfen, ist gescheitert. Der Oppositionelle ist aus der eilig an einem anderen Ort organisierten Wahl zum Parlamentspräsidenten mit mehr Unterstützung hervorgegangen, als zu erwarten war. International war die Verurteilung der chavistischen Inszenierung ziemlich einhellig. Wenn es um die Verteidigung eines Parlaments geht, sind sich die Demokratien dieser Welt dann doch einig. Selbst Argentinien und Mexiko, die beiden linkspopulistisch regierten Schwergewichte Lateinamerikas, die Guaidó nicht anerkennen, verurteilten die Blockade des Parlaments.

Das ist eine empfindliche Niederlage für Nicolás Maduro - und vor allem eine, die völlig überflüssig war. Das könnte ihn in den eigenen Reihen schwächen. Und vielleicht fassen auch die Venezolaner noch einmal neuen Mut. Sie werden ihn brauchen, denn nur sie selbst können ihr Land verändern.

Uta Thofern Leiterin Lateinamerika-Redaktionen, Schwerpunkt Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen