1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Verloren gegangene Vorbilder

Scholz Kay-Alexander Kommentarbild App
Kay-Alexander Scholz
23. April 2019

Dass der zweite Bürgermeister von Hitlers Geburtsort Braunau schlechte Verse dichtet, ist eigentlich keine mediale Aufmerksamkeit wert. Doch das Problem geht viel tiefer, meint Kay-Alexander Scholz.

Die multikulturelle Crew vom "Raumschiff Enterprise"Bild: Paramount

"dass wenn man zwei Kulturen mischt / (als hehres Ziel wird aufgetischt) / es ist, als ob man sie zerstört / das finde ich ganz unerhört!"

Der Autor dieser Zeilen, Christian Schilcher, ist inzwischen aus der FPÖ ausgetreten, sein politisches Amt als Vize-Bürgermeister der österreichischen Kleinstadt Braunau am Inn ist er los. Der Skandal über sein rechtsradikales Gedicht , das international Schlagzeilen gemacht hat, findet damit wahrscheinlich sein politisches Ende. Richtig so! Doch Christian Schilcher wird wohl trotzdem weiter so denken - und nicht nur er.

Mindestens wer Politik studiert hat weiß, dass in Deutschland bis zu 20 Prozent der Bevölkerung mehr oder weniger rechtsradikales Gedankengut pflegen - und in Österreich ist das nicht grundlegend anders. Andererseits darf man die Angst vor Parallelgesellschaften und Clan-Strukturen in Städten, mit dem das Gedicht auf fatale Weise spielt, nicht einfach wegdiskutieren.

Doch die Forderung nach einem homogenen Volk ist keine Antwort - gerade Deutsche und Österreicher sollten wissen, dass sie dieser Weg vor einem Menschenalter geradewegs ins Verderben geführt hat. Gut, dass Zivilgesellschaft und Medien bei diesem "Gedicht" ihre Wächterrolle ausgefüllt haben.

Und jetzt?

Nicht zuletzt Popkultur könnte dabei helfen, rechtsradikales Denken nachhaltig zu überwinden. Die "Generation X" hatte, als sie in den 1970er- und 1980er-Jahren jung war, jede Menge positive Leitbilder multikulturellen Miteinanders. Im "Raumschiff Enterprise" arbeiteten Russen und Amerikaner neben Menschen von anderen Kontinenten und sogar Planeten. Sie alle hatten einen festen Job auf dem Deck bei Captain Kirk. Die Unterschiede verschwammen vor gemeinsamen Aufgaben. Längst lebte die Menschheit mit Außerirdischen in einer Konföderation zusammen.

DW-Redakteur Kay-Alexander Scholz

Auch die deutsche Schlagerwelt der 1970er-Jahre wirkt rückblickend so gecastet, dass ein Star aus jedem Land Europas präsent war. Immer etwas klischeebeladen, dafür aber mit Neugier auf Fremdes und viel Emotion - bis hin zum Schunkeln beim Singen vom "griechischen Wein". Wie anders klang dann doch das Schimpfen über die "Pleitegriechen" während der Eurokrise.

Und in der "Muppet-Show" gab es Frösche, Schweine, alte Herren und komische Ärzte, die so divers und schrullig individuell waren, dass sie wohl viele Zuschauer immun machten gegen Fremdenhass. Vielfalt galt als Bereicherung. Damals wurde gelacht, gestaunt und mitgesungen.

Heute hingegen schreien sich viele nur noch an, wollen vom anderen nichts mehr wissen und haben jeden Humor verloren. In den Sozialen Medien wird polarisiert, in TV-Serien schlägt man sich gegenseitig den Kopf ab, Rapper singen darüber, andere töten zu wollen. Vorbilder sehen anders aus.

Ein anderer Zeitgeist

Doch die Misere ist noch größer. Und das alles ist längst kein rein popkulturelles Phänomen mehr. Wer jungen Stars der neuen Rechten zuhört, nicht nur aus Deutschland oder Österreich, erkennt, wie sie aus der Ablehnung dieser Welt und ihrer Alltagskultur versuchen politisch Kapital zu schlagen. Doch sie wollen nicht zurück zur "Muppet Show" und ihrem positiven Leitbild.

Der neue rechte Star aus den Niederlanden Thierry Baudet prahlt damit, elitebewusst im Geist des 19. Jahrhundert aufgewachsen zu sein. Er will die Zeit zurückdrehen und fordert den Abschied von der Moderne. Das wäre dann auch die Rückkehr des Nationalismus.

Mit einem Aufschrei über mutmaßlich bewusst inszenierte mediale Grenzüberschreitungen wie im Fall der einfach nur grauenhaft schlechten Reime des stellvertretenden Bürgermeisters einer österreichischen Kleinstadt ist es dann allerdings nicht mehr getan.