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Politik

Verschoben, aber nicht gelöst

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
25. November 2018

Der historische Brexit-Gipfel ist vorbei, der Scheidungsvertrag zwischen Großbritannien und der EU steht. Aber die Probleme sind nicht gelöst. Beim Brexit gibt es bislang nur Verlierer, meint Bernd Riegert.

Bild: Reuters/O. Hoslet

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit und Chupze die britische Premierministerin versucht, ihre Landsleute für dumm zu verkaufen. Nach dem Gipfeltreffen in Brüssel, auf dem in Begräbnis-Stimmung der mühsam verhandelte Austrittsvertrag gebilligt wurde, stellte sich Theresa May vor die Kameras und behauptete, vor ihrem Land läge eine goldene Zukunft, weil man jetzt außerhalb der EU bessere Handelsverträge mit dem Rest der Welt abschließen könne. Außerdem habe man jetzt wieder Kontrolle über die Einwanderung und sei nicht länger unter der Knute des ach so selbstherrlichen Europäischen Gerichtshofes. Das ist barer Unsinn, denn die Scheidungsvereinbarung sieht vor, dass sich zwischen Großbritannien und der EU erst einmal gar nichts ändert - mindestens bis Ende 2020, vielleicht auch noch ein, zwei Jahre länger.

So lange bleiben die Briten Teil des EU-Binnenmarktes, gilt die Freizügigkeit der EU-Bürger und auch die entsprechende Rechtsprechung des EuGH in Luxemburg. Großbritannien zahlt in dieser Zeit auch weiter seine Mitgliedsbeiträge, nur mitreden dürfen die Briten nicht mehr. Sie sind nicht mehr in den Ministerräten und auch nicht mehr im Europäischen Parlament vertreten. Das hehre Versprechen von "take back control", also die Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten zurückzugewinnen, das die Brexit-Vorkämpfer vor dem fatalen Referendum abgegeben haben, wird nicht umgesetzt.

Ob sich das nach der Übergangszeit ändert, ist ungewiss. Denn nur wenn es gelingt, bis Ende 2020 ein neuen Vertrag über die Beziehungen zur EU abzuschließen, würde Großbritannien aus dem Brexit-Deal in die erträumte Unabhängigkeit entlassen. Andernfalls bleibt das Vereinigte Königreich in einer wenig vorteilhaften Zollunion mit der EU und Nordirland wahrscheinlich in weiten Teilen des EU-Binnenmarktes.

Übergang wohin?

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die Probleme, der neue Status für Großbritannien und die Grenzfrage auf der irischen Insel, sind nur in die Zukunft verschoben worden. Wirkliche Lösungsansätze enthält die "politische Erklärung" von Briten und Rest-Europäern nicht. Sie ist bestenfalls eine lange Wunschliste, die alle möglichen Felder der Zusammenarbeit auflistet. Wenn man dieses Rahmenwerk in die Tat umsetzen würde, käme das einer Mitgliedschaft in der EU schon sehr nahe. Man muss sich also fragen, was soll der ganze Brexit-Zirkus eigentlich am Ende für ein Ergebnis haben? So wie er jetzt angelegt ist, hat das Ausscheiden weder für Großbritannien noch für die EU großartige Vorteile. Es stimmt, was der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nach dem historischen Sondergipfel sagte: "Alle verlieren, keiner gewinnt!"

Premierministerin Theresa May hält sich nicht lange mit der Wirklichkeit auf, sondern verspricht den britischen Wählerinnen und Wählern das Blaue vom Himmel, so wie einst die Lügenbolde in der "Vote leave"-Kampagne. Sie will den Deal irgendwie durch das störrische Parlament boxen. Die Aussichten dafür sind schlecht. Gewinnt sie die Abstimmung, verliert sie wahrscheinlich die Tolerierung durch die nordirische Unionisten-Partei und könnte nicht weiter regieren. Verliert sie die Abstimmung, müsste sie wahrscheinlich zurücktreten oder würde von ihrer konservativen Partei aus dem Amt gejagt. May sitzt in der Brexit-Falle. Auch ein möglicher Nachfolger oder eine Nachfolgerin käme aus der nicht mehr so leicht heraus.

Wo sind die Milliarden?

Die Alternative zum heute abgeschlossenen Scheidungsabkommen heißt "harter" Brexit im März 2019 ohne jegliche Übergangsfrist. Chaos wäre vorprogrammiert, von "goldener Zukunft" keine Spur. Selbst die finanziellen Erträge fielen bei einem "harten" Brexit eher bescheiden aus. Rund sechs Milliarden Euro zahlt Großbritannien nach Abzug aller Rabatte in die gemeinsame EU-Kasse. Dieses Geld wird durch die haarsträubenden Versprechen der Brexit-Befürworter und auch Premierministerin May doppelt und dreifach aufgezehrt. Allein das Versprechen, dem staatlichen Gesundheitswesen jede Woche 394 Millionen Euro zu überweisen, würde sich auf 20 Milliarden Euro jährlich läppern. Und da sind die Milliarden an neuen Zuwendungen für die britischen Landwirte noch gar nicht mitgerechnet.

Nicht nur die Briten auch die EU-Seite hat die Probleme, die der Ausstieg des drittgrößten Beitragszahlers bringen wird, bislang verdrängt. Bald wird sich bei den Haushaltsverhandlungen für die Zeit nach 2021 zeigen müssen, wer die "Brexit-Lücke" schließt und künftig mehr in den EU-Haushalt einzahlen wird. Mit "diplomatischen Kunststücken", die Bundeskanzlerin Angela Merkel heute gelobt hat, ist es dann nicht mehr getan. Dann sind harte Euro und politischer Wille gefragt.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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