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Politik

Orban verhöhnt die EU

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
31. März 2020

Der ungarische Premier hat im Schatten der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit den Rechtsstaat suspendiert. Die EU darf dem nicht tatenlos zuschauen, sonst wird sie überflüssig, meint Bernd Riegert.

Immer nur lächeln? EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mahnt Ungarns Premier Orban. Wirkung hat das kaum (Archivbild vom August 2019)Bild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/Europäische Kommission/J. Jacquemart

Die Antwort der EU-Kommission auf die umstrittenen Notstandsgesetze im EU-Mitgliedsland Ungarn fällt beschämend schwach aus. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lässt ihren Sprecher in Brüssel noch einmal daran erinnern, dass alle Mitgliedsstaaten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit ihrer Maßnahmen auch während einer Pandemie achten müssten. Die Entwicklung in Ungarn werde verschärft beobachtet und geprüft.

Das wird Viktor Orban, den kritische Europa-Parlamentarier bereits "COVID-Diktator" nennen, wenig beeindrucken. Auf Appelle aus Brüssel pfeift der starke Mann aus Budapest nicht erst seit dem Ausbruch des Virus. Bereits vor der offiziellen Reaktion der EU-Kommission hatte Orban die Europäische Union in seinen staatlich gelenkten Medien verhöhnt. Wenn die EU Ungarn schon nicht helfe in der Corona-Krise, dann müsse sich Ungarn eben alleine helfen. Der Vorwurf ist falsch. Ungarn bekommt die gleichen Hilfen wie alle anderen Mitgliedsstaaten auch.

Das Virus zehrt am Rechtsstaat

Die zu erwartende Belastung des Gesundheitssystems und die durch die Corona-Maßnahmen ausgelöste Wirtschaftskrise sind keine Rechtfertigung für die nur schwach verschleierte Autokratisierung Ungarns durch Viktor Orban. Die parlamentarische Kontrolle der Regierung ist auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Die letzten Möglichkeiten der Opposition, sich zu äußern und Vorschläge einzubringen, werden abgeschafft. Freie Meinungsäußerung wird fast unmöglich gemacht. Das ist einer europäischen Demokratie nicht zulässig und widerspricht glasklar den Grundsätzen in den europäischen Verträgen.

Bernd Riegert, Europakorrespondent

Die EU-Kommission als "Hüterin der Verträge" hat keine andere Möglichkeit, als Ungarn wegen einer eklatanten Vertragsverletzung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu verklagen. Das Kalkül des illiberalen Premiers Orban, dass er im Windschatten des Coronavirus segeln kann und die EU im Moment andere Sorge hat, darf nicht aufgehen. Das Verfahren vor dem EuGH wird Orban vielleicht auch nur ein müdes Lächeln abringen, denn er weiß, dass die übrigen Mitgliedsstaaten kein großes Interesse an einer wirklichen Auseinandersetzung mit Ungarn haben.

Begrenzte Möglichkeiten

Das bereits laufende Strafverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge, das das EU-Parlament ausgelöst hat und das die zuständigen Mitgliedsstaaten nur lustlos verfolgen, erweist sich bislang als wirkungslos. Viktor Orban kann sich der Sympathie von Polen und anderer osteuropäischer Staaten gewiss sein, die eine Verurteilung der autokratischen Machenschaften Orbans vereiteln. Aus eigenen Interessen. Denn auch gegen die nationalkonservative polnische Regierung läuft bereits ein EU-Verfahren nach Artikel 7 wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit. Orbans offensichtliche Aushebelung des Rechtsstaats in der Coronakrise könnte für andere Nationalisten und Rechtspopulisten ein Vorbild sein.

Vom angedachten "Rechtsstaats-Monitoring" in allen Mitgliedsstaaten ist die EU noch weit entfernt. Die Koppelung der Auszahlung von Fördergeldern an die Rechtsstaatlichkeit in der nächsten Haushaltsperiode bleibt eine unwahrscheinliche Drohung. Ob es jemals so weit kommt, ist ungewiss. "Der kleine Diktator", wie der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Ungarns Premier Orban einst noch verniedlichend nannte, kann sich seiner Sache noch sehr sicher sein. Und das ist falsch.

Die Sinnfrage

Lässt die EU Orban gewähren, verliert sie in der Coronakrise nach dem Binnenmarkt, dem schrankenlosen Reisen und der stabilen Währungsgemeinschaft demnächst auch ihr Wertefundament. Dann ist die Frage erlaubt: Wozu überhaupt noch die Europäische Union? Um Möchtegern-Autokraten wie Orban jährlich viel Geld aus der Gemeinschaftskasse zu überweisen? Das kann es ja wohl nicht sein. Nach dem Europäischen Parlament, dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) sollten nun endlich die Mitgliedsstaaten der EU Orbans Ungarn unmissverständlich zur Ordnung rufen. Oder ganz klar die Frage stellen, ob Ungarn weiter Mitglied der Union bleiben kann und sollte? Aus Berlin, Paris, Rom, Madrid und anderen Hauptstädten ist dazu aber nur donnerndes Schweigen zu hören. Wie lange noch?

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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