Nach der Bundestagswahl 2017 bahnte sich in Deutschland eine durchaus historisch zu nennende Premiere an: eine Regierung aus Konservativen (CDU/CSU), Grünen und Liberalen (FDP). Doch nach wochenlangen Gesprächen zog FDP-Chef Christian Lindner überraschend die Reißleine: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Damit löste sich die zum Greifen nahe sogenannte "Jamaika-Koalition" in Luft auf. Die Begründung der FDP: "Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben." Überzeugend klang das nicht.
Als Notnagel sprangen die Sozialdemokraten (SPD) ein und schmiedeten gegen innerparteiliche Widerstände das dritte schwarz-rote Bündnis seit 2005. Die Bundeskanzlerin heißt immer noch Angela Merkel. Wer sich in den vergangenen 15 Jahren mit ihr auf eine Koalition einließ, stürzte bei den nächsten Wahlen ab. Die FDP fiel 2013 sogar ins Bodenlose - sie flog erstmals in ihrer Geschichte aus dem Bundestag. Vielleicht war diese traumatische Erfahrung der tiefere Grund dafür, dass die Liberalen 2017 nach ihrem triumphalen Comeback (10,7 Prozent) im letzten Moment Angst vor der eigenen Courage bekamen.
Neue Gesichter im Merkel-Kabinett wären gut
Beim nächsten Mal aber wird alles anders sein, weil Angela Merkel dann abtreten will. Wer für das konservative Lager spätestens 2021 ins Rennen geht, ist offen. Zwei Kandidaten stehen in den Startlöchern: Merkels Nachfolgerin als CDU-Chefin, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und Markus Söder, Vorsitzender der Schwesterpartei CSU und bayrischer Ministerpräsident.
Der starke Mann aus dem Süden der Republik profilierte sich pünktlich zur traditionellen Neujahrsklausur mit einer überraschenden Forderung: neue, frische Gesichter für die Bundesregierung! Angela Merkels CDU wurde von Söders Attacke kalt erwischt. Auch wenn es nicht die feine Art war: Junges Blut könnte das chronisch streitsüchtige Kabinett Merkel in der Tat gut gebrauchen.
Der Wille zur Macht muss spürbar sein
Vom schlechten Erscheinungsbild der Koalition profitieren schon länger die Grünen, denen natürlich auch das Megathema Klimawandel in die Karten spielt. Die kleinste Oppositionspartei im Bundestag (8,9 Prozent) liegt in Umfragen aber auch deshalb seit Monaten deutlich über 20 Prozent, weil sie verblüffend geschlossen auftritt. Vor allem aber lassen die Grünen keinen Zweifel daran aufkommen, endlich wieder regieren zu wollen. Das erste und einzige Mal taten sie das von 1998 bis 2005 mit der SPD.
Der absolute Wille, Politik in Deutschland und der Welt gestalten zu wollen, unterschied die Umweltpartei bislang von den anderen Oppositionsparteien. Außerdem sind die Grünen bei der Partnerwahl flexibler als Liberale und Linke. Das hat weniger mit Opportunismus zu tun als mit Pragmatismus. Denn in ihrem tiefsten Innern war die einstige Protestpartei, die gerade ihren 40. Geburtstag feiert, dem Wortsinn nach schon immer konservativ: bewahrend, erhaltend.
Die FDP darf kein zweites Mal kneifen
Mit Blick auf ihr Herzensanliegen, den Erhalt der Umwelt, klingt das wie eine Selbstverständlichkeit. Aber niemand außer den Grünen hat seine Politik konsequent danach ausgerichtet. In Zeiten zunehmender Umweltkatastrophen hat die Partei aber mehr als den Zeitgeist auf ihrer Seite. Traurig, aber wahr: Es ist die global bedrohte Natur. Allein können und werden die Grünen das Ruder in der Politik aber nicht herumreißen. Deshalb ist zu hoffen, dass die zuletzt ambitionierter klingenden Töne der Unionsparteien zur Umweltpolitik mehr sind als Wortgeklingel.
Vieles spricht dafür, dass auch die erste Regierung nach der Ära Merkel nur mit CDU und CSU gebildet werden kann. Sollte es zur ersten schwarz-grünen Koalition für ganz Deutschland kommen, müsste sie schnell und überzeugend liefern. Unüberwindbare ideologische Barrieren zwischen beiden Lagern gehören zum Glück der Vergangenheit an. Und sollte es bei der nächsten Bundestagswahl wieder zu keiner eigenen Mehrheit langen, darf die FDP kein zweites Mal kneifen.
Die Linke ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt
Die Flucht aus der Verantwortung hat den Liberalen mehr geschadet als genützt. Denn aus den massiven Verlusten von CDU, CSU und SPD in Umfragen und bei den Landtagswahlen 2019 konnte die FDP kein Kapital schlagen. Der Grund: fehlender Mut und mangelnde Kompromissbereitschaft. Das gilt auch für die Linke, bei der chronischer parteiinterner Streit hinzukommt. So kann man bei einer Bundestagswahl nur verlieren.
Die Ausnahme heißt "Alternative für Deutschland" (AfD). Diese Partei läuft wegen ihrer rückwärts gewandten und latent rassistischen Rhetorik ohnehin außer Konkurrenz. Mit ihr will bisher und sollte auch künftig niemand ein Bündnis eingehen. Ein Erfolg versprechendes Mittel, den Erfolg der AfD einzudämmen, wären mehr selbstbewusste Parteien nach dem Vorbild der Grünen. Das täte der Demokratie insgesamt gut.