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Politik

Wer nicht "Nein" sagt, sagt "Ja"?

26. Juni 2019

Deutschland braucht mehr Organspenden. Seit dem vorigen Sommer diskutiert die Politik über eine Gesetzesänderung. Gut so. Und gut, dass es wohl auf jeden Fall mehr Organspenden geben wird, meint Christoph Strack.

Bild: picture-alliance/dpa/S. Steinach

Transplantationsmediziner schildern die Lage als dramatisch. Die Zahl der Organspenden in Deutschland sinkt. Der Bedarf an Organen ist deutlich größer. Und jeder einzelne Fall ist ein Schicksal. Dazu gehört die Angewiesenheit auf medizinische Maschinen oder das allmähliche Verlöschen des Lebens. Jahr für Jahr sterben über 1000 Menschen in Deutschland, weil es für sie kein Spenderorgan gab. Auf europäischer Ebene importiert Deutschland deutlich mehr Spenderorgane, als es welche an Patienten in anderen Ländern liefert.

Für dieses Dilemma gibt es viele Gründe. Dazu zählen gewiss Skandale im Bereich der Organspende, die in den vergangenen Jahren publik wurden und die das Vertrauen in die derzeitige Praxis geschwächt haben. Dazu zählen auch Umbrüche in der immer detaillierter reglementierten Krankenhaus-Landschaft in Deutschland und deren zunehmende Kommerzialisierung. Viele Häuser klagen über fehlende finanzielle Mittel und Personalstellen, um für die Bereitstellung von Organspenden gewappnet zu sein. Aber mehr Geld für einen medizinischen Grenzbereich - das ist dem Parlament als Gesetzgeber ebenso wie den Krankenkassen tendenziell lästig.

Eine Frage, die Urängste und Grundüberzeugungen berührt

Doch all diese Einwände helfen nicht weiter in einer Frage, die Emotionen, Hoffnungen oder Urängste, gelegentlich auch religiöse Grundüberzeugungen berührt. Denn Organspende - das ist einer der ganz sensiblen Fragen, über die ein Parlament zu entscheiden hat. Immer wenn der Bundestag eine solche Frage zu beraten und zu entscheiden hat - sei es Sterbehilfe, Abtreibung, Stammzellforschung oder eben Organspende -, dann ändert sich die Auseinandersetzung. Die Reden sind ernst, grundsätzlich, immer wieder einmal mit einem Verweis auf die Verfassung. 

Christoph Strack ist HauptstadtkorrespondentBild: DW/B. Geilert

Das ist gut so. Auch wenn sich der Begriff "Sternstunde" verbietet angesichts eines viel zu leeren Bundestags-Plenums. Solche Debatten zeigen, dass der Bundestag nicht einfach aus Fraktionen und erst recht nicht aus Befehlsempfängern der Regierungsparteien besteht, sondern aus individuellen Abgeordneten: 709 einzelnen Abgeordnete, die eine persönliche Entscheidung treffen müssen. Nach der Aussprache im Plenum vom Mittwoch wird das im Oktober oder November dieses Jahres der Fall sein. Derzeit, so heißt es, seien rund 300 der 709 Abgeordneten noch nicht entschieden, welche Regelung sie favorisieren wollen.

Bis dahin konkurrieren zwei Gesetzentwürfe, die jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen beworben werden. Für eine "Widerspruchslösung" warb von Anfang an der christdemokratische Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Demnach hätte die Medizin Zugriff auf Organe jedes Verstorbenen, falls es keine entsprechende Gegenerklärung zu Lebzeiten oder von den Angehörigen nach dem Tod gibt. Dem entgegen steht eine "Zustimmungslösung", bei der jeder Verstorbene der Organentnahme ausdrücklich zugestimmt haben muss. Das ähnelt dem heutigen Konzept, will aber durch ein bundesweites Onlineregister höhere Zahlen erreichen.

Die Zahl der Spenderorgane wird wohl steigen

Gut ist, dass bei beiden Konzepten die Zahl der Spenderorgane in Deutschland wohl steigen würde. Allmählich - denn das ist ein langer Prozess. Aber angesichts der oft erschütternden Perspektiven von Betroffenen, sei es in den Medien, sei es im Bekanntenkreis, bleibt die Grundansatz der Widerspruchslösung richtig, die den einzelnen in die Pflicht nimmt. Es geht - schaut man auf das Selbstbestimmungsrecht - um einen Eingriff in die Freiheit des einzelnen.

Aber ist es zuviel verlangt, wenn sich jeder und jede einzelne - oder im Falle des Todes ohne vorheriges Votum eben die Angehörigen - einmal mit dieser Frage befasst und dann entscheidet?

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