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Kommentar: Werder am Abgrund

Janek Speight
15. Februar 2020

Werders Pleite in Leipzig kam nicht unerwartet, der Abstieg ist näher denn je. Trainer Kohfeldt scheint das Blatt nicht mehr wenden zu können. Doch die Chance auf Veränderung wurde bereits verpasst, meint Janek Speight.

Florian Kohfeldt im Porträt (Foto: picture-alliance/dpa/R. Michael)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Florian Kohfeldts Verhalten beim Abpfiff hat sich in den letzten Monaten kaum verändert. Trostlos, isoliert, in seinem Mund ein Stück Kaugummi, das die Nerven beruhigen soll. Der Trainer ist schon zu lange weit davon entfernt, dem Ruf gerecht zu werden, den er sich während seiner unglaublichen Debütsaison bei Werder Bremen erarbeitet hat, die fast in der europäischen Qualifikation geendet hätte. In dieser Saison, in der Bremen aktuell auf dem 17. Tabellenplatz dümpelt, ist Kohfeldts Zeit eindeutig abgelaufen.

Doch die Vereinsführung hat die Chance verpasst, den dramatischen Absturz mit einem Trainerwechsel aufzuhalten. Die Loyalität hat sie kostbare Zeit gekostet und nun befindet man sich fast schon mit einem Fuß in der zweiten Liga. Angesichts der anstehenden schwierigen Begegnungen macht ein Trainerwechsel zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn mehr. Doch hält der Klub an Kohfeldt fest, besteht auch kaum noch eine Chance, die Abstiegsspirale zu stoppen. Das ist das Dilemma.

Seuchensaison

Kohfeldts Saison lässt sich am besten an Zahlen verdeutlichen. Acht Niederlagen in den letzten neun Spielen, 51 Gegentreffer in der gesamten Saison und 17 Tore alleine nach Standardsituationen. Die 0:3-Niederlage vom Samstag gegen RB Leipzig war das fünfte Mal, dass die Mannschaft in einem Spiel drei oder mehr Tore kassiert hat. 

Es gab in den letzten Monaten zahlreiche Gelegenheiten, bei denen ein Wechsel des Trainers mehr als gerechtfertigt gewesen wäre.

DW-Sportredakteur Janek Speight Bild: DW/B. Geilert

Am 17. Dezember gab es eine 0:5-Klatsche daheim gegen Abstiegskandidat Mainz 05. Nur vier Tage später verlor man beim Kellerkind 1. FC Köln mit 0:1. Oder nach den wenig inspirierenden Auftritten gegen Hoffenheim, Augsburg oder Union Berlin in den letzten drei Wochen. Jeweils hagelte es eine Niederlage und jede wäre Grund genug für eine Veränderung auf der Trainerbank gewesen.

Geschäftsführer Frank Baumann hat bewundernswerte Zurückhaltung und Zuversicht gegenüber dem ehemaligen Trainer der Reservemannschaft gezeigt, aber das könnte mit dem ersten Abstieg seit fast genau 40 Jahren nach hinten losgehen.

Zu spät für einen Wechsel

Bremen bekommt es in den kommenden sechs Spielen u.a. mit Dortmund, Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach zu tun. Ein neues Gesicht an der Seitenlinie für solch schwierige Spiele, wird die Chancen auf Erfolg wohl kaum großartig verbessern. Diese Gelegenheit hat das Management verpasst.

Das Team erscheint antriebs- und ideenlos. Den Spielern fehlt es an Kreativität nach vorne und Konzentration in der Verteidigung. Anzeichen auf Besserung sind bis jetzt nicht in Sicht. Der Trainer hat taktisch keine Antworten und die Unfähigkeit des Teams, sich auf das Wesentliche des Spiels zu konzentrieren, stellt seine Motivationsfähigkeit in Frage.

Das kann den besten Managern passieren, wenn die Ergebnisse nicht mehr stimmen. Die Gründe für den dramatischen Einbruch in dieser Saison sind vielfältig und kompliziert. Kohfeldt bleibt ein talentierter und vielversprechender junger deutscher Trainer, der sicher eine weitere Chance bekommt. Er könnte sie noch in Bremen nutzen, sei es in der Bundesliga oder vielleicht sogar dann Liga zwei.

Loyalität oder Ignoranz?

Werder Bremens Geschäftsführer Frank Baumann steht hinter Trainer Florian Kohfeldt - doch schon zu langeBild: Imago Images/Nordphoto/Kokenge

"Wir glauben an Florians Arbeit", sagte Baumann nach der Niederlage in Leipzig am Sky-Mikrophon. "Wir sind überzeugt, dass Florian der richtige Trainer für diese Mannschaft und diesen Verein ist, auch in dieser schwierigen Situation. Ich sehe jeden Tag, wie er mit der Mannschaft arbeitet." Die Vereinsführung steht hinter Kohfeldt. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir Ergebnisse liefern, und wir sind davon überzeugt, dass wir das mit Florian erreichen. Dann wird die Stimmung auch nicht komplett kippen."

Der Klub scheint entschlossen zu sein, mit dem 37-jährigen Kohfeldt durchzuhalten, selbst wenn es zum Schlimmsten kommt. Doch wenn der Trainer nicht schuld ist, müssen die Bremer die Gründe woanders finden. Der Abstieg vom europäischen Hoffnungsträger zu einem Abstiegskandidaten kommt nicht von ungefähr. Loyalität ist eine bewundernswerte Eigenschaft. Aber das Nichterkennen der wahren Gründe für den Absturz des Klubs könnte letztlich den Gang in die zweite Liga bedeuten.

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