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Politik

Wirbel um die Regionalwahlen in Moskau

Kommentarbild Gesine Dornblüth
Gesine Dornblüth
27. Juli 2019

In Moskau scheint es einen großen Wunsch nach Veränderungen zu geben. Doch Oppositionskandidaten werden massiv behindert. Ihr Scheitern könnte verhängnisvolle Folgen haben, meint Gesine Dornblüth.

Moskauer Protestaktion für die Opposition vor einer WocheBild: DW/S. Dik

Es sind nur Regionalwahlen, bis zum Urnengang sind es noch sechs Wochen, und dennoch steht in Moskau in diesen Tagen viel auf dem Spiel. Es geht um nichts Geringeres als die Frage, ob politische Veränderungen in Russland möglich sind oder nicht.

Knapp zwanzig Oppositionelle haben ihre Kandidatur eingereicht. Da sie keiner in der Staatsduma vertretenen Partei angehören, mussten sie Unterstützerunterschriften vorweisen: drei Prozent der Stimmberechtigten im Wahlkreis, so schreibt es das russische Wahlgesetz vor. In der Ferienzeit mehrere tausend Unterschriften zu sammeln, in einem Land, in dem man Fremden nicht die Tür öffnet und immer weniger Menschen an den Sinn von Wahlen glauben, ist kein Kinderspiel. Dass die Bewerber es dennoch geschafft haben, war eine Überraschung. Sie hat gezeigt, wie gut die Opposition mittlerweile organisiert ist.

Kaltschnäuzige Behinderung

Die Wahlkommissionen haben viele Kandidaten trotzdem nicht zugelassen, insbesondere Oppositionsanhänger. Die Begründungen sind fadenscheinig, der gängige Vorwurf lautet, Unterschriften seien gefälscht worden. Die Kandidaten haben Beweise gesammelt, dass diese Vorwürfe falsch sind. Genützt hat es nichts.

Gesine Dornblüth, Freie JournalistinBild: DW

Die Kaltschnäuzigkeit der systemergebenen Behörden gegenüber den Wählern hat viele Menschen aufgebracht. Rund 20.000 Anhänger der Opposition kamen am vergangenen Wochenende zu einer - ausnahmsweise - genehmigten Protestkundgebung in Moskau zusammen. Das sind gemessen an der Gesamtbevölkerung wenige, aber so viele, wie seit Jahren nicht mehr.

Unruhe unter den Mächtigen 

An diesem Samstag demonstriert die Opposition erneut, direkt vor dem Moskauer Rathaus, diesmal ohne Genehmigung. Es soll unzählige Festnahmen gegeben haben. Druck der Straße kann in Russland etwas bewirken, das haben die letzten Wochen gezeigt. In Jekaterinburg verhinderten Demonstranten, dass auf einem beliebten Platz im Stadtzentrum eine Kathedrale gebaut wird; breit angelegte Solidaritätskundgebungen sorgten dafür, dass ein zu Unrecht festgenommener russischer Journalist wieder frei kam. Im Kampf der Oppositionellen um die Zulassung zur Moskauer Regionalwahl jedoch scheinen die Machthaber zu keinen Zugeständnissen bereit. Das mächtige "Untersuchungskomitee" ermittelt gegen die Kandidaten wegen des Aufrufs zu einer ungenehmigten Versammlung. Polizisten durchsuchten ihre Wohnungen. Der wohl bekannteste Putin-Kritiker, Aleksej Nawalny, der zwar nicht in Moskau antreten will, die Oppositionskandidaten aber unterstützt, wurde Anfang der Woche zu 30 Tagen Ordnungshaft verurteilt.

Die Mächtigen sind nervös, und das aus gutem Grund. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin hat die Innenstadt renoviert, neue Bus- und Metrolinien gebaut, sogar Fahrradwege. Die Bewohner aber wollen bezahlbare medizinische Versorgung, Bildung für ihre Kinder. Die Beliebtheit der Kreml-Partei Einiges Russland ist im Keller. So sehr, dass ihre Kandidaten in Moskau gar nicht erst im Namen der Partei antreten, sondern als Parteilose. Ihre Unterstützerunterschriften wurden von den Wahlkommissionen übrigens zum größten Teil durchgewunken.

Veränderungen von unten

Im Unterschied zu den verhassten Systemvertretern haben die Oppositionskandidaten Volksnähe bewiesen. Viele von ihnen sitzen bereits in den Bezirksversammlungen von Moskau. Bei den Kommunalwahlen 2017 war es der Opposition überraschend gelungen, in mehreren Bezirken sogar die Mehrheit der Sitze zu gewinnen. Auf kommunaler Ebene wird in Russland zwar nur wenig entschieden, doch gerade bei Alltagsfragen wie Parkbänken oder kommunalen Dienstleistungen konnten die Opposionspolitiker beweisen, dass sie Verantwortung übernehmen, etwas für die Menschen bewirken und nicht nur die Regierung kritisieren. Genau das ist die Strategie der russischen Opposition: Veränderungen von unten. Denn seit Wladimir Putin 2012 auf den Posten des Staatspräsidenten zurückgekehrt ist, steht fest, dass es Veränderungen von oben in Russland in absehbarer Zeit nicht geben wird.

In Moskau wurden die Oppositionellen nun bereits auf unterer Ebene unsanft gestoppt. Ihre Strategie droht zu scheitern. Für Russland ist das verhängnisvoll. Der Enthusiasmus jener, die sich immer noch politisch engagiert haben, dürfte endlich sein. Die Abwanderung der Eliten wird noch einmal zunehmen.

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