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Politik

Worauf warten die Sozis noch?

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer
15. Mai 2017

Keine Vision. Nur Hunger nach Macht. Die Sozialdemokraten sollten sich nichts vormachen: Nur eine radikale Abkehr vom matten Kurs der Großen Koalition bietet ihnen mittelfristig eine Machtoption, meint Marko Langer.

Die rote Rose in der Faust, das Symbol der Sozialistischen InternationalenBild: Socialist International

Es war 1983, als ein gewisser Lord Ralf Dahrendorf das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters ankündigte und das sozialdemokratische Programm "ein Thema von gestern" nannte. Der Soziologe und liberale Politiker hat sich mit seiner These bei den Linken - nun ja - nicht unbedingt beliebt gemacht. Doch auch aus deren Sicht muss man heute sagen: Der Lord hatte recht.

Nehmen wir einmal Deutschland. Wer war nicht schon alles schuld an der Krise bei der SPD? Rudolf Scharping und Kurt Beck - Vorsitzende, deren Namen kaum noch jemand erinnert. Bis zum heutigen Tage wird dem bisher letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder von seinen Genossen die Agenda 2010 vorgehalten. Sigmar Gabriel war auch lange schuld, und nun eben Hannelore Kraft, die abgewählte Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Ende September wird dann möglicherweise Martin Schulz schuld sein.

Was macht der Labour-Chef künftig beruflich so?

Was ist das Thema des SPD-Kandidaten fürs Kanzleramt? Wofür steht der Mann aus Brüssel beziehungsweise Würselen? Wenn niemand so genau weiß, was Martin Schulz eigentlich will, kann man den Sozialdemokraten tröstend zurufen: Euer Martin ist da nicht alleine. Fragen wir doch einmal in den Nachbarländern: Was will Jean-Luc Mélenchon in Paris nun tun? Was hat Labour-Chef Jeremy Corbyn in London nach der britischen Unterhauswahl am 8. Juni vor - auch beruflich? Wie will Pedro Sánchez in Spanien aus der Zwickmühle zwischen den Bürgerlichen und der neuen linken Protestpartei Podemos herauskommen?

Es ist für die Sozialdemokraten und die Sozialisten allerorten ein echtes Dilemma: Die Bürger trauen ihnen in den Zeiten der Dauerkrise die Übernahme von Verantwortung einfach nicht mehr zu. Wenn es halbwegs läuft, bleiben die Wähler bei dem Bewährten. Mutti macht das schon - mögen die Männer hinter ihr auch noch so grummeln. Und wenn es nicht läuft? Dann wählt man in Frankreich lieber einen Pseudo-Erneuerer wie Emmanuel Macron, als einen Vertreter der "etablierten", der abgewirtschafteten Kräfte.

Frag' nach bei Wagenknecht

Vielleicht sollte man in dieser Sache einmal bei Sahra Wagenknecht oder Gregor Gysi nachfragen: Den Spitzen der Linkspartei hängt ihre sozialistische DDR-Vergangenheit immer noch bleischwer an. Eine Art Fußfessel, die sie wohl auch in den nächsten Jahren daran hindern dürfte, in Deutschland auf Bundesebene auch nur in Regierungsnähe zu kommen. Man konnte sehr den Kopf darüber schütteln, wie nachdrücklich Hannelore Kraft (von der wir ja schon wissen, dass sie aktuell die Schuldige ist) noch wenige Tage vor der unheilvollen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis mit der Linken ausschloss. Auf welche Regierungsmehrheit hat die Ministerpräsidentin denn gehofft, wo sie doch wissen musste, dass auch ihre grünen Partner am Wahltag ordentlich gerupft würden?

Marko Langer, DW-NachrichtenredaktionBild: Sarah Ehrlenbruch

Insgeheim werden sie bei den Sozialdemokraten vielleicht schon die Große Koalition als kleines Übel unter einer nochmal antretenden Ministerpräsidentin Kraft ins Kalkül gezogen haben. Dass die ja eigentlich mit guten Beliebtheitswerten ausgestattete, ehemalige "Kümmerin" Kraft von den Wählern in den politischen Ruhestand geschickt wird, hatten sie dabei nicht für möglich gehalten.

Wenn Martin Schulz verhindern will, dass ihm und seiner SPD im September ähnliches widerfährt, muss er jetzt radikal handeln. Das bedeutet: Eine klare, belastbare Absage an weitere Jahre großkoalitionärer Merkel-Regierung! Ein neuer sozialdemokratischer Geist kann sich nur aus der Opposition heraus entwickeln. Wie lange will man im Willy-Brandt-Haus eigentlich noch warten, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man als Mehrheitsbeschafferin für eine konservative Kanzlerin aber ganz gewiss nicht weiterkommt?

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land, sagt ein Sprichwort. Daher verabschieden wir uns an dieser Stelle - sehr wertschätzend - von Graf Dahrendorf und wenden uns dem französischen Soziologen Didier Eribon zu. Der hat gerade in einem Aufsatz für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ebenfalls einen neuen sozialdemokratischen Geist beschworen, einen neuen "Geist von '68". Eribon spricht verächtlich von der "Regierungslinken". Diese habe "das einfache Volk vollständig fallen" gelassen und "eine Spaltung zwischen diesen sozialen Schichten und der Linken als solcher" herbeigeführt.

Die wichtigste Aufgabe für einen SPD-Vorsitzenden

Daher hätten viele frühere Linkswähler nun dem Front National ihre Stimme gegeben, und dies werde sich auch beim nächsten Anlauf von Marine Le Pen in fünf Jahren wieder zeigen. Auch in Oberhausen, Essen, Duisburg und anderswo kann man unter den Wählern der rechten "Alternative für Deutschland" (AfD) frustrierte Arbeiter finden, in deren Millieu man früher niemals auf die Idee gekommen wäre, etwas anderes als die SPD anzukreuzen.

Diese Zeiten sind vorbei. Und dennoch gibt es seit Jahren mit SPD, Linken und Grünen eine latent linke Mehrheit bei uns im Land. Die tiefen Gräben zur Linkspartei zu überwinden - das könnte die wichtigste Aufgabe für einen SPD-Vorsitzenden sein, egal, wie er nun heißt. Zu befürchten steht, dass er sich stattdessen einmal mehr nur um die nächstbeste Machtoption bemüht.

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