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Politik

Wunsch und Wirklichkeit

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Felix Steiner
30. Mai 2017

Angela Merkels Bierzelt-Rede vom Sonntag hat ein weltweites Echo ausgelöst. Ist das transatlantische Zeitalter zu Ende? Für ein solches Urteil ist es zu früh, Europa gar nicht entsprechend gewappnet, meint Felix Steiner.

Bild: Getty Images/AFP/M. Medina

Wer hätte das gedacht? Im Moment der vermeintlich größten Schwäche laufen zwei fast schon Totgesagte zu neuer Hochform auf.

Da ist zum einen Angela Merkel: Vor vier Monaten noch schien sie plötzlich besiegbar bei den anstehenden Wahlen im September. Deutschland war vom Hype um Herausforderer Martin Schulz ergriffen. Doch der ist so schnell verflogen, wie er gekommen war. Stattdessen wird die deutsche Wählerschaft nun Zeuge, wie Merkel als die inzwischen dienstälteste Regierungschefin den ruhenden Pol bei G7-, NATO- und EU-Gipfeln markiert. Und deren Rede in einem bayrischen Bierzelt plötzlich Anlass zum weltweiten Nachdenken über tektonische Verschiebungen im transatlantischen Verhältnis gibt. Als hätte sich der Herrgott persönlich offenbart.

Europa ist wieder da

Da ist zum anderen die EU: Das Brexit-Votum der Briten vor genau einem Jahr kratzte brutal am eigenen Selbstvertrauen. Und das, nachdem schon die Euro- und die Flüchtlingskrise im Jahr zuvor tiefste Gräben zwischen den Mitgliedern aus Nord und Süd sowie Ost und West offenbart hatten. Nun aber, wenige Wochen nachdem ein junger charismatischer Mann zum Präsidenten Frankreichs gewählt wurde, ist Europa wieder da: "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen" ruft die Kanzlerin im Münchner Bierzelt - und sie täte das so kurz vor der Wahl gewiss nicht, wenn sie sich der Sympathie für diese Idee in Deutschland nicht sicher sein könnte. Oder frönen die Deutschen doch viel eher einem reinen Anti-Trump- als einem Pro-Europa-Effekt, wenn an dieser Stelle alle begeistert Beifall klatschen? 

DW-Redakteur Felix Steiner

Entscheidend ist: Was es eigentlich konkret bedeutet, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen - darüber blieb die Kanzlerin jede Erklärung schuldig. Das wäre ja auch nicht ganz so einfach. Glaubt Angela Merkel ernsthaft, Europa könne alleine eine militärische Aggression abwehren - woher auch immer? Das Europa, das seit Beginn der Flüchtlingskrise immer wieder behauptet, es könne seine eigenen Grenzen nicht einmal vor Unbewaffneten schützen und denen ein ordnungsgemäßes Einreiseverfahren mit gültigen Papieren abverlangen? Der gleiche Offenbarungseid beim Thema Terrorabwehr: Wo immer in Europa in den vergangenen Monaten Terrorzellen oder Anschlagspläne aufgedeckt wurden, standen Informationen aus amerikanischen Geheimdienstquellen an erster Stelle. Es kommt nicht von ungefähr, dass ausgerechnet Innenminister Thomas de Maizière sich nach Merkels Bierzeltrede beeilte zu versichern, die Zusammenarbeit mit den US-Diensten laufe professionell und auf höchstem Niveau - unabhängig von der Person des Präsidenten.

Selbstständigkeit kostet vor allem Geld

Klar ist: Wenn Europa all diese Fähigkeiten ersetzen und wirklich selbstständig werden wollte, müsste es weit mehr Geld aufwenden, als die schon seit Jahren in der NATO geforderten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Und schon damit taten sich fast alle - Deutschland eingeschlossen - ausgesprochen schwer. Und selbst wenn man zu diesem Aufwand bereit wäre: Der Aufbau entsprechender Fähigkeiten dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

Was also lehrt uns das? Die Irritation über Donald Trump ist in Europa mit Händen zu greifen. Und ja - genau damit kann man inzwischen Wählerstimmen sammeln. Unmittelbare politische Kurskorrekturen ergeben sich hieraus bis auf weiteres  hingegen kaum. Weil es ganz einfach nicht geht.

Irritiert müssen nur diejenigen sein, die glauben oder wissen, dass Politik zu einem Gutteil allein aus Symbolik besteht - ähnlich der "Ich bin ein Berliner"-Rede von John F. Kennedy oder dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Symbole, die rückblickend für etwas stehen, was eine Epoche ausmacht. Wenn also die Entfremdung zwischen Europa und den USA in Zukunft weiter zunimmt, dann könnte es in der Tat passieren, dass die Bierzelt-Rede von München-Trudering einst zur historischen Wegmarke verklärt wird. Und wenn damit künftig ein stärkeres Bemühen um europäische Zusammenarbeit auch in den Bereichen Militär und Sicherheit einher geht - dann zu recht.

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