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Zukunftsmodell Kurdistan?

Kersten Knipp29. August 2014

Durch ihren Kampf gegen die Terror-Organisation "Islamischer Staat" treiben die irakischen Kurden auch ihr Projekt eines eigenen Staates voran. Das bietet Perspektiven für die gesamte Region, meint Kersten Knipp.

Peschmerga Kämpfer 10.08.2014 bei Mossul
Kurdische Peschmerga-Kämpfer bei MossulBild: picture-alliance/dpa

Die Terrorbanden des "Islamischen Staats" (IS) ebnen ihrem "Kalifat" mit kaum für möglich gehaltener Gewalt den Weg. Wie lange das Gebilde sich halten mag, scheint sie derzeit eher weniger zu interessieren. Jeder Staat, selbst ein "Kalifat", ist langfristig auf Kooperation mit anderen Staaten angewiesen. Dazu werden angesichts der Gräueltaten des IS nur die wenigsten Länder bereit sein. Wie das fromme Gebilde darum dauerhaft überleben soll, bleibt vorerst Geheimnis des Kalifen.

Ganz ohne es zu wollen treiben die IS-Schergen aber auch ein anderes, unendlich verheißungsvolleres Projekt voran: einen kurdischen Staat im Nordirak. Die Kurden sind derzeit die einzigen, die sich, unterstützt durch die USA, den IS-Terroristen in den Weg stellen. Das beschert ihnen Sympathien weltweit. Dadurch erhält auch der Gedanke an einen unabhängigen kurdischen Staat neuen Schwung.

Vorbehalte gegen einen kurdischen Staat

Natürlich: Derzeit stehen der Verwandlung der autonomen Region in einen Staat etliche Hindernisse entgegen. Die Türkei hat zwar gute Beziehungen in die Kurdenregion, nicht zuletzt wirtschaftliche. Mit dem Gedanken eines selbständigen Staates Kurdistan tut sie sich dennoch schwer. Sie fürchtet, das Projekt könnte auch die türkischen Kurden zu neuen Unabhängigkeitsgedanken inspirieren. Aus dem gleichen Grund lehnen auch Syrien und Iran die Idee eines kurdischen Staates ab. Denn sollte die Diskussion an Fahrt gewinnen, wären ihre derzeitigen Staatsgrenzen zumindest langfristig in Frage gestellt. Auch die westlichen Mächte stehen dem Gedanken an ein unabhängiges Kurdistan reserviert gegenüber. Sie fürchten, die Region könnte durch Grenzverschiebungen oder sogar Grenzkriege weiter destabilisiert werden.

Ausgeschlossen ist das nicht. Allerdings ist die Region bereits jetzt schon hochgradig instabil - um nicht zu sagen: in ihr herrscht über weite Strecken das pure Chaos. Syrien befindet sich seit gut dreieinhalb Jahren in einem Bürgerkrieg. Dieser hat dem Assad-Regime die Kontrolle über weite Teile des Landes entrissen. Der Norden Syriens wird von IS beherrscht, dessen "Kalifat" sich über die bisherige Staatsgrenze bis in den Irak erstreckt. Dieser zerbröckelt derzeit ebenfalls. Die Region der Kurden ist das einzige Gebiet im nördlichen Irak, in dem die öffentliche Ordnung noch fortbesteht. Dafür, wie auch für ihren Kampf gegen den "Islamischen Staat" werden die Kurden irgendwann einen Preis - nämlich weitere Schritte in Richtung Unabhängigkeit - verlangen. Der wird ihnen nicht abzuschlagen sein.

DW-Autor Kersten KnippBild: DW/P. Henriksen

Überkonfessionelles Erfolgsmodell

Neben ihrem militärischen Verdienst können die irakischen Kurden aber auch ein politisches Argument für ihren Staat vorbringen: Ihr Gebiet ist derzeit das einzige in der Region, das nicht auf einer konfessionell eingegrenzten Gesellschaftsordnung beruht. Im kurdischen Autonomiegebiet leben Sunniten, Christen, Jesiden und schiitische Aleviten friedlich nebeneinander.

Ein solches überkonfessionelles Modell könnte auf die gesamte Region ausstrahlen. Denn die Logik des Konfessionalismus hat diese an den Rand des Abgrunds getrieben. Die kurzsichtige, auf religiöse Spaltung setzende Politik des Ex-Premiers Nuri al-Maliki hat den irakischen Staat implodieren lassen. Syrien wird von einem Bürgerkrieg zerrissen, in dem konfessionelle Fragen anfänglich nur eine Nebenrolle spielten. Seit langem führen dort aber auch die beiden großen regionalen Rivalen, der schiitische Iran und das sunnitische Saudi-Arabien, einen Stellvertreterkrieg. Immer deutlicher sehen die Regierungen der beiden Staaten nun, welches Desaster ihr religiöser Eifer angerichtet hat. Auch der Libanon lässt sich in seiner zwischen Christen, Sunniten und Schiiten mühsam ausgehandelten Machtbalance immer weiter in den Strudel des syrischen Bürgerkriegs ziehen.

Dem desaströsen Denken in konfessionellen Kategorien steht im Irak jetzt schon eine kurdische Autonomieprovinz entgegen, die nicht umsonst zu den Gewinnern der derzeitigen Umwälzungen zählt. Sorgsam hat sie sich allen religiösen Eifers enthalten - und ist darüber zu einer prosperierenden Landschaft geworden. Ob als autonome Region oder irgendwann als eigenständiger Staat: Das kurdische Beispiel weist jetzt schon den Weg in eine Richtung, über die nachzudenken lohnt!

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