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Kommissar Mikrobe löst Mordfälle

20. April 2024

Ein Leichenfund, keine Zeugen, keine Waffe, keine Hinweise. Ein solcher Fall ist oft nur schwer zu lösen. Doch Pathologen hoffen, dass ihnen Mikroben bald bei der Aufklärung schwieriger Fälle helfen können.

Symbolbild Polizeisperrung
Wie lassen sich Mordfälle aufklären, für die es weder Zeugen noch andere Beweise gibt?Bild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Der Fund einer Leiche mit zahlreichen Stichwunden versetzte vor etwa 800 Jahren ein chinesisches Dorf in Aufruhr. Der mit der Aufklärung des Falls beauftragte Mediziner Song Ci stellte fest, dass die Wunden von einer Sichel stammten. Um den Täter zu überführen, rief er die Dorfbewohner zusammen und forderte sie auf, ihre Sicheln zu zeigen. Die Schmeißfliegen, die an diesem heißen Nachmittag durch die Luft schwirrten, ließen sich in großer Zahl auf einer der blankgeputzten Klingen nieder. Blutspuren des Opfers hatten den Täter überführt. Er wurde verhaftet, der Fall war gelöst.

Es ist der erste bekannte Fall, bei dem ein Mordverdächtiger durch die Beobachtung von Insekten überführt wurde, ein Forschungsfeld, das heute als forensische Entomologie bekannt ist.

Fliegen halfen nicht nur vor 800 Jahren in China bei der Aufklärung von MordfällenBild: Creative Touch Imaging Ltd/NurPhoto/IMAGO

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, der regelmäßig die Lebenszyklen von Insekten wie Fliegen, Ameisen und Käfern untersucht, die sich auf Leichen und an Tatorten finden. Es mag unappetitlich klingen, aber in Gerichtsverfahren geben seine Untersuchungen oft wertvolle Hinweise darauf, wann und möglicherweise auch wie ein Opfer zu Tode kam.

In einem Fall aus dem Jahr 2017 konnte Benecke zum Beispiel nachweisen, dass ein 80-Jähriger in Italien wegen Vernachlässigung gestorben war. Die Lebenszyklen von Fliegen und Ameisen in der Wohnung des Verstorbenen führten ihn auf die Spur.

"Viele forensische Entomologen gibt es nicht", sagt Benecke, "aber ihre Arbeit kann in schwer lösbaren Fällen den fehlenden Hinweis geben. Wir können dabei helfen, solche Fragen zu beantworten wie 'Befand sich die Leiche jemals an einem Waldrand, ja oder nein?'"

Insekten am Tatort

Doch obwohl Insekten unter bestimmten Bedingungen zur Aufklärung eines Falls beitragen können, ist es oft schwierig, am Tatort die richtigen Informationen zu sammeln, deren Analyse einen Gerichtsfall weiterbringen, erzählt Benecke.

Temperatur, Feuchtigkeit und Licht haben Einfluss auf den Lebenszyklus von Insekten. Besonders schwierig zu bestimmen ist dieser im Winter oder in kälteren Klimazonen, in denen es weniger Insekten gibt.

Häufig würden am Tatort auch nicht ausreichend Insekten gesammelt oder sie würden falsch gelagert, so Benecke. "Einmal wurde ich gebeten, anhand eines Fotos eines Fotos eines zerquetschten Insekts zu einem Fall beizutragen."

Der Lebenszyklus von Insekten gibt zudem nicht ausreichend präzise Hinweise, um den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Doch das sind entscheidende Informationen bei einem Mordverdacht.

Bakterien und Pilze können weiterhelfen

Hier kommen die Mikroben ins Spiel. Wissenschaftler haben in den letzten Jahren untersucht, ob die Analyse von Bakterien und Pilzen dazu dienen könnte, den genauen Todeszeitpunkt und die Todesursache zu bestimmen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie scheinen die Forscher einiges gefunden zu haben, das für diese Hypothese spricht. Sie konnten eine Gruppe von Mikroben identifizieren, die die Verwesung von Leichen unabhängig von Klima oder Jahreszeit vorantreibt.

Über Mikroben lässt sich ein Todeszeitpunkt sehr genau bestimmenBild: Callista Images/imago images

Im Zuge der Studie wurden während aller vier Jahreszeiten Kadaver in verschiedenen Klimazonen der USA untersucht. Die Forscher ließen die Leichen 21 Tage lang an verschiedenen Orten liegen und analysierten dann genetisches Material aus Gewebeproben. So erstellten sie eine detaillierte Karte der Bakterien- und Pilzbesiedelung jeder Leiche. Mit diesen Daten fütterten sie dann einen KI-Algorithmus, der eindeutig den Todeszeitpunkt jeder Leiche feststellte.

Die Forscher fanden 20 Mikroben, die mit der Präzision eines Uhrwerks auf jeder der Leichen erschienen, die sie während dieser 21 Tage untersuchten. Unabhängig von Leichenfundort oder Klima besiedelten die gleichen Mikroorganismen die Leichen mit derselben Geschwindigkeit.

Außerdem konnten die Forscher verschiedene mikrobielle Gemeinschaften identifizieren, die sich in verschiedenen Umgebungen auf den Leichen ansiedelten. So unterschieden sich zum Beispiel einige der Mikroben, die Leichen in der Wüste besiedelten, von denen, die sich auf Leichen im Wald ansiedelten.

Forscher wären so in der Lage, anhand geringfügiger Abweichungen zwischen den Mikrobiomen festzustellen, wo eine Leiche vermutlich verwest ist.

Vieles (noch) nicht nutzbar

Die Untersuchung von Mikroben am Tatort könnte Rechtsmedizinern dabei helfen, Tatverdächtige in Mordfällen zu identifizieren und Alibis zu bestätigen oder zu widerlegen. Das wäre besonders in Fällen hilfreich, in denen der Todeszeitpunkt nicht geklärt ist.

Zur Verbrechensaufklärung werden Forensiker gebrauchtBild: Guillaume BONNEFONT/IP3/MAXPPP/picture alliance

Im Gegensatz zu Fingerabdrücken, Blutflecken, Zeugen oder einer Ansammlung von Schmeißfliegen auf einer Sichel, sind mikrobielle Beweise an jedem Tatort zu finden. Doch bislang nutzen die Forensiker Mikroben am Tatort noch nicht als Beweismittel. Weitere Daten seien erforderlich, um zu verstehen, welche Faktoren sich auf ihr Wachstum auswirken, meint Benecke: "Im Moment befinden wir uns noch in der Forschungsphase. Aber es ist immer sinnvoll, alle [am Tatort] verfügbaren Informationen zu nutzen."

"Massendaten und auf Grundlage künstlicher Intelligenz erstellte Statistiken können nicht nur eine gute Schätzung des Intervalls zwischen Tod und Leichenfund ermöglichen, sondern vieles mehr. Dafür ist aber eine Menge Arbeit nötig. Die Leute müssen das Thema lieben, aber das tun nicht viele", fügt Benecke hinzu.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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