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Kommt bald das Handyverbot an allen Schulen in Deutschland?

3. Mai 2025

Soziale Erlebnisse statt Social Media: Viele Bundesländer planen, das Smartphone aus dem Schulalltag zu verbannen. Ein Gymnasium in Alsdorf probiert das Verbot jetzt aus.

Eine Schülerin hält im Unterricht ein Handy in den Händen.
Bald Geschichte? Die Handynutzung während der Schulzeit steht auf dem PrüfstandBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Etwa 100 Meter vor den Eingangstüren des Dalton-Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen gibt es jeden Morgen ein noch ungewohntes Ritual. Dort fängt das Schulgelände an. Das bedeutet seit dieser Woche für die knapp 700 Schülerinnen und Schüler: Handys in die Schultaschen, Smartphone aus und erst wieder online gehen, wenn die Schule vorbei ist.

Die 16-jährige Schülersprecherin Lena Speck ist selbst überrascht, wie gut Tag Eins des Handyverbots gestartet ist. Sie sagt der DW: "Bisher läuft alles mehr oder weniger reibungslos. Ich habe heute Morgen nicht mitbekommen, dass einer Person das Handy abgenommen wurde. Man merkt auch, dass sich die Schüler mehr unterhalten. Sehr viele von uns finden ein Handyverbot gar nicht so schlimm."

Das Dalton-Gymnasium in Alsdorf: eine der deutschen Vorreiter-Schulen beim Handyverbot Bild: Oliver Pieper/DW

Die Bilanz des ersten Tages: zwei Verstöße, unter anderem ein 16-jähriger Schüler, der in einem schwachen Moment in der Deutschstunde sein Smartphone anschaltet. Sein Handy wird als Strafe im Sekretariat in einen Umschlag gesteckt und im Tresor verschlossen. Am nächsten Tag können es seine Eltern abholen. Diese Sanktion sorgte für reichlich Diskussionen in der Schule.

Die 17-jährige Klara Ptak, ebenfalls Schülersprecherin, unterstützt jedoch die harte Gangart, sagt sie der DW: "Es ist, wie wenn man bei Rot über die Ampel fährt. Die Konsequenz muss hart sein, sonst machen es die Leute nicht. Wenn ich weiß, dass mir mein Handy den ganzen Nachmittag und Abend fehlt, halte ich mich wahrscheinlich eher an die Regel."

Schülersprecherinnen Klara Ptak und Lena Speck: Handyverbot kann helfen, Medienkonsum der Schüler zu reduzierenBild: Oliver Pieper/DW

Das Gymnasium in Alsdorf testet in einer Pilotphase bis zu den Sommerferien ein Handyverbot für den ganzen Schultag, inklusive Pausen - "Smart ohne phone" heißt die Initiative. Viele Schulen in Deutschland gehen gerade eigenständig diesen Weg, damit die Schülerinnen und Schüler dem Unterricht und nicht ihrem Smartphone folgen.

Flickenteppich an Deutschlands Schulen - Hessen geht voran

Aber noch scheuen sich die Bundesländer, in deren Verantwortung die Schulpolitik liegt, einheitliche Standards zu setzen. Hessen geht voran und will nach den Sommerferien den Gebrauch privater Handys generell in den Grundschulen verbieten und - mit wenigen Ausnahmen - auch an weiterführenden Schulen.

Bei vielen Lehrerinnen und Lehrern rennen die Schulen mit einem Handyverbot offene Türen ein. Andrea Vondenhoff, die in Alsdorf Spanisch und Englisch unterrichtet, kennt dies schon von ihrer alten Schule  in einem anderen Bundesland. Sie glaubt, das Handyverbot werde sich auch in Alsdorf schnell einspielen und bald zur Normalität werden.

"Man merkt im Unterricht, dass die jugendlichen Kinder wirklich entspannter und nicht so abgelenkt sind. Die meisten Verstöße fanden an meiner alten Schule tatsächlich in der Oberstufe statt, die Kleinen haben sich dagegen sehr gut daran gehalten", berichtet Vondenhoff. "Als Lehrer hat es den Vorteil, nicht dauernd schauen zu müssen, was die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Handy vielleicht unter dem Tisch machen."

Lehrerin Andrea Vondenhoff: "Die Startphase wird eventuell etwas holprig, aber ich bin sehr optimistisch, dass das funktionieren wird"Bild: Oliver Pieper/DW

Schüler fit machen für Digitalisierung - ohne private Handys

Dass das Dalton-Gymnasium jetzt diesen Weg geht, ist kein Zufall. Die Schule zeigt seit Jahren, dass Veränderung möglich ist: 2013 erhielt sie den Deutschen Schulpreis für ein Lernkonzept, das auf Verantwortung und Selbständigkeit setzt.

Drei Jahre später führte man als erste Schule Deutschlands erfolgreich das Gleitzeit-Modell ein, um der inneren Uhr und dem Biorhythmus der Jugendlichen besser gerecht zu werden. Im vergangenen Jahr bekam die Schule eine Auszeichnung für ihr Medienkonzept.

Das Gymnasium setzt mit Schultablets für alle ganz auf Digitalisierung, es gibt Greenscreen-Räume und ein eigenes Podcast-Studio. Einige Schüler sorgen als sogenannte Tablet-Scouts für den nötigen IT-Support und helfen bei technischen Problemen. Den Vorwurf, ein Handyverbot würde Schüler digital ausbremsen, kann Schulleiter Martin Wüller nicht nachvollziehen.

"Es geht nicht darum, Digitalität zu verteufeln oder zu verbieten, sondern die Ablenkung durch private Handys", betont er im DW-Interview. "Wir haben die Fünft- und Sechstklässler gesehen, die in den Pausen nur noch auf ihr Handy gestarrt haben und Online-Spiele machen. Da haben wir als Schulgemeinde gesagt, Schule steht ja auch für Kommunikation untereinander, für Ins-Gespräch-kommen, für Lachen und Interaktion."

Schuldirektor Martin Wüller: "Der deutsche Beamte weiß oft vorher schon, dass es nicht klappen wird. Wir probieren es einfach aus" Bild: Oliver Pieper/DW

Möglicher Nebeneffekt: weniger Cybermobbing

Anruf bei Klaus Zierer. Der Bildungsforscher und Hochschullehrer an der Universität Augsburg hat die Wirkung von Handyverboten an Schulen untersucht - und die hessische Landesregierung rund um das geplante Gesetz als Gutachter beraten.

Seine Forderung ist unmissverständlich: Die Handys müssen raus aus den Schulen, mit einem kompletten Verbot an den Grundschulen und wenigen Ausnahmeregelungen bei älteren Jahrgängen.

Zierer sagt der DW: "Wir können feststellen, dass es in den Schulen, wo Smartphone-Verbote eingeführt und pädagogisch begleitet wurden, zu einer Steigerung des sozialen Wohlbefindens kommt. Smartphone-Verbote führen dazu, dass die Zeit für Cybermobbing reduziert wird, weil häufig auch die Schule der Ort dafür ist, wie zum Beispiel mit Fotos auf Schultoiletten."

"Wir haben das Thema Smartphone ein wenig stiefmütterlich, manchmal sogar naiv betrachtet" - Klaus ZiererBild: Privat

Andere Länder Europas haben Handys aus Schulen verbannt

In Frankreich und Italien sind Handys schon länger in Schulen verboten, seit dem vergangenen Jahr auch in den Niederlanden. Doch in Deutschland gibt es immer noch Widerstand. Längst nicht alle befürworten ein bundesweites Handyverbot.

Vor allem Schülervertreter und Gewerkschaften sind skeptisch: Ein Verbot würde die Probleme nur in die Freizeit verschieben und sei realitätsfern - stattdessen sollten Kinder und Jugendlichen in den Schulen lernen, ihre Handys verantwortungsvoll zu nutzen.

Niederlande: Handyverbot an Schulen

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Zierer lässt das nicht gelten: "Ein Zehn-, Elf- oder Zwölfjähriger kann nicht verantwortungsvoll mit seinem Smartphone umgehen. Das ist eine komplette Überforderung." Der Erziehungswissenschaftler erinnert daran, dass es Verbote auch bei Alkohol, Drogen oder im Straßenverkehr gebe.

"Ein Verbot für Kinder in einem gewissen Alter ist per se nicht schlecht, sondern ein Ausdruck der Verantwortung der älteren gegenüber der jüngeren Generation: Wir wissen um die Gefahren und haben unsere Kinder auch entsprechend zu schützen, um sie Schritt für Schritt zur Kompetenz heranzuführen."

Mehr Bewegung und soziale Erlebnisse statt Handys

Eine Studie aus England gibt Zierer recht: Vor allem leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler konnten sich demnach in Schulen mit einem Handyverbot verbessern. Kein Wunder, wenn man sich die Ergebnisse einer Untersuchung der Organisation Common Sense Media in den USA bei 11- bis 17-Jährigen (2024) anschaut: Demnach erhält die Hälfte von ihnen um die 60 Benachrichtigungen allein während ihrer Zeit in der Schule.

Auch in Deutschland zeigten Studien, dass Kinder ab 16 Jahren teilweise bis zu 70 Stunden die Woche online sind, berichtet Klaus Zierer. Sein Appell: "Wir müssen den Schülern etwas anbieten, was sie in ihrer Lebenswelt nicht haben. Ausreichend Bildschirmzeiten haben sie zu Hause. Sie brauchen stattdessen mehr Bewegung, mehr Interaktion und mehr soziale Erlebnisse, um Empathiefähigkeit und soziale Kompetenzen zu fördern."