Kommt das Universal-Gegengift für Schlangenbisse?
2. Mai 2025
Die Angst vor Schlangen ist uns angeboren. Diese Tiere gruseln viele Menschen - selbst in Ländern, in denen man ihnen kaum begegnet. Bereits wenige Monate alte Babys zeigen Stressreaktionen beim Anblick der Tiere.
Die Urangst vor Schlangen kommt nicht von ungefähr: Jährlich verursachen Schlangenbisse 81.000 bis 138.000 Todesfälle und 300.000 bis 400.000 dauerhafte Schädigungen.
Bisse von Giftschlangen können bisher nur mit spezifischen Gegengiften, sogenannten Antivenomen, behandelt werden. Die meisten davon wirken allerdings nur gegen eine einzige oder wenige verwandte Schlangenarten.
Zudem wissen Betroffene und entsprechend auch das medizinische Personal oftmals nicht, welche Schlange tatsächlich gebissen hat. Immerhin gibt es weltweit etwa 600 giftige Schlangenarten.
Jetzt haben US-Forschende die Grundlage für ein möglicherweise breit wirkendes Gegengift bei Schlangenbissen gefunden. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal "Cell". Ein Antivenom, das gegen mehrere Schlangengifte wirkt, könnte die Behandlung stark vereinfachen.
BITTE NICHT NACHMACHEN!
Die US-Forschenden verwendeten dafür das Blut eines Spenders, der sich innerhalb von 18 Jahren freiwillig 856 Mal dem Gift von diversen Schlangen ausgesetzt hat. Timothy Friede hat sich absichtlich mehr als 200 Mal von Giftschlangen beißen lassen und sich hunderte Injektionen mit tödlichem Schlangengift verabreicht.
Bereits als Schüler kam der Amateur-Schlangensammler aus dem US-Bundesstaat Wisconsin auf die lebensgefährliche Idee, irgendwie eine Immunität gegen Giftschlangen zu entwickeln, um vor giftigen Bissen geschützt zu sein. So molk er das Gift seiner Haustiere und injizierte sich das Gift verdünnt.
Mit Erfolg: Sein Körper entwickelte entsprechende Antikörper. Wie jeder andere Mensch blutet natürlich auch Friede nach den schmerzhaften Bissen und die Bissstellen schwellen an. Aber er überlebt die Bisse von Nattern, Kobras, Mambas oder Klapperschlangen.
Die Suche nach dem Universalgegengift
Da Friede seine schmerzhaftes Hobby seit 1998 filmt und bei YouTube hochlädt, wurde irgendwann der Immunologe Jacob Glanville auf die Videos aufmerksam. Wenig später gründeten der Pharmaexperte und der ehemalige LKW-Mechaniker Tim Friede für die gemeinsame Suche nach einem universellen Gegengift die Firma CentiVax.
18 Jahre und hunderte Bisse später identifizierten die Forschenden in Friedes hyperimmunem Blut zwei breit neutralisierende Antikörper: LNX-D09 und SNX-B03. Das daraus gewonnene Gegenmittel wirkt in Mausexperimenten gegen das Gift von 19 der weltweit giftigsten Schlangen.
"Ohne diesen sehr besonderen Spender Timothy Friede wäre die Entwicklung des Antivenoms nur schwer möglich gewesen", urteilt der nicht an der Studie beteiligte Prof. Dr. Michael Hust, Direktor der Abteilung Medical Biotechnology an der Technischen Universität Braunschweig.
Langer Weg bis zum Medikament
Nicht jede Giftschlange ist gleich gefährlich. Abhängig von der Gefährlichkeit werden sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in zwei Kategorien eingestuft: 109 der giftigsten Schlangenarten gehören in die Kategorie 1, der Rest in Kategorie 2.
Durch das von den US-Forschenden entwickelte Gegengift entsteht im Maus-Experiment ein vollständiger Schutz gegen zehn Schlangen der WHO-Kategorie 1 und drei Schlangen der Kategorie 2 sowie ein Teilschutz gegen fünf Schlangen der Kategorie 1 und eine Schlange der Kategorie 2.
"In den nächsten Schritten sollte der Cocktail auch an größeren Tieren getestet werden, da sich die Toxizität der einzelnen Schlangengifte bei größeren Säugetieren und Mäusen unterscheiden kann." Es sei aber noch ein langer Weg, bis daraus ein potenzielles Medikament entwickelt werde, das für Menschen nicht gefährlich ist, so Hust.
Forschung an Gegengiften lohnt sich nicht
Zudem sei es laut Hust fraglich, ob sich die Entwicklung von Gegengiften für die Pharmafirmen lohne. "Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Therapeutika gegen 'vernachlässigte Krankheiten', wie zum Beispiel Vergiftungen durch Schlangenbisse, ist nicht wissenschaftlicher, sondern ökonomischer Natur. Überspitzt ausgedrückt: Krebs, Autoimmunkrankheiten und Haarausfall sind wirtschaftlich lukrativ. Ist aber auch ein Medikament gegen Schlangenbisse wirtschaftlich tragbar? Ich wünsche Glanville und Friede, dass es ihnen gelingt, dieses Medikament weiterzuentwickeln, um mehr als 100.000 Menschen jährlich zu helfen."
Dass solch ein Medikament allerdings gegen Bisse sämtlicher Schlangenarten wirksam sein kann, bezweifelt Dr. Andreas Laustsen-Kiel, Professor und Leiter der Section for Biologics Engineering an der Technical University of Denmark.
Für die Untersuchung wurden nur Gegengifte ausgewählt, bei denen es den gewünschten Effekt gab. "Man hat einfach diejenigen ausgewählt, die funktionieren. Die Arbeit ist dennoch großartig, allerdings sollten aus der Studie nicht mögliche Übertreibungen über ein 'universelles Gegengift, das kurz vor der Markteinführung steht' resultieren." Statt der Suche nach einem 'universellen Gegengift' wären "regional breit wirksame Gegengifte" sinnvoll.
Prof. Laustsen-Kiel würdigt Friedes Verdienste zwar, warnt gleichzeitig aber, dass seine lebensgefährlichen Selbstversuche "andere Menschen dazu inspiriert, 'im Namen der Wissenschaft' ähnliche Dinge zu tun", die dann wohlmöglich kein gutes Ende nehmen.
Quellen:
Snake venom protection by a cocktail of varespladibvand broadly neutralizing human antibodies. Cell. DOI:10.1016/j.cell.2025.03.050.
Itsy Bitsy Spider…: Infants React with Increased Arousal to Spiders and Snakes
https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2017.01710/fullSchlangen,