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Kommt die Zinswende?

Rolf Wenkel
19. Mai 2017

Seit gut neun Jahren fallen die Zinsen, will die Europäische Zentralbank Konjunktur und Inflation mit einer Geldflut anschieben. Jetzt wird immer deutlicher, dass sie diesen Kurs nicht ewig durchhalten kann.

Verkehrsschild Wendemöglichkeit
Bild: Fotolia/matisse

Nachtigall, ick hör' dir trapsen - im Berliner Volksmund wird dieser Spruch gebraucht, wenn jemand meint, etwas im voraus zu wissen, im übrigen Deutschland meint man in solchen Fällen, den Braten zu riechen. Wer die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verfolgt, könnte neuerdings zu solchen Redewendungen greifen, denn die Anzeichen einer Zinswende, also die Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik, diese Anzeichen mehren sich.

Die Inflationsrate  in der Eurozone stieg im April laut Statistikbehörde Eurostat auf 1,9 Prozent. Im März hatten die Verbraucherpreise zwar nur mit einer Jahresrate von 1,5 Prozent zugelegt, dies hing jedoch mit der Lage des Osterfestes im Kalender zusammen. Im Februar war eine Inflationsrate von 2,0 Prozent gemessen worden.

Mit anderen Worten: Es wird für EZB-Präsident Mario Draghi immer schwerer, seine Nullzinspolitik und sein gigantisches Anleihekaufprogramm mit Deflationsgefahren zu begründen. "Das Deflationsrisiko habe ich nie für sonderlich groß gehalten", sagt der Direktor des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, stellvertretend für viele seiner Kollegen. Und: "Es kann nicht sein, dass die EZB überhaupt nicht auf die veränderte Wirtschaftslage reagiert."

Inflationsziel erreicht

Mit der Nullzinspolitik und den Anleihekäufen will die EZB Liquidität in die Märkte pumpen, um die Kreditnachfrage der Wirtschaft anzuregen und die Inflationsrate auf den Wert anzuheben, den sie für ideal hält: knapp unter zwei Prozent. Dieser Zustand ist jetzt offenbar erreicht, aber Mario Draghi zögert noch. Er argumentiert damit, dass die Energiepreise die Inflation nach oben getrieben haben und dass die Kerninflationsrate, die die schwankenden Energiepreise nicht berücksichtigt, sich wenig verändert hat. "Als die Inflationsrate fiel, ebenfalls wegen der Energiepreise, hat die EZB argumentiert, es komme nicht auf die Kerninflation an. Das passt nicht zusammen", wundert sich Ifo-Präsident Fuest.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellte Anfang Mai öffentlich fest, dass es fast neun Jahre nach der Finanzkrise erste Anzeichen für ein Ende der Niedrigzinspolitik gebe. "Da sich die wirtschaftliche Lage in der Eurozone insgesamt verbessert hat und die Sorge vor einer Deflation verschwunden ist, gibt es Andeutungen aus dem Kreis des EZB-Vorstands, wonach man dort allmählich den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik einleiten will."

Die Mutmaßungen des Ministers über einem Richtungswechsel der EZB kommen nicht von ungefähr: Ende April hatte sich die EZB mit ihrem Präsidenten Mario Draghi vorsichtig optimistisch über die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone gezeigt. Anfang Mai war Draghi in einer Rede vor dem niederländischen Parlament allerdings wieder zurückgerudert: Die Zeit für eine Zinswende sei noch nicht reif - "This time hasn't come yet".

Zinswende zur Jahreswende?

Andere sehen das anders. Die Zinsexperten des Bundesverbandes öffentlicher Banken (VÖB) rechnen schon in den kommenden zwölf Monaten mit einem strafferen Kurs der EZB. Erste Entscheidungen der Notenbank für einen langsamen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik seien um den Jahreswechsel 2017/18 zu erwarten, schreiben die VÖB-Experten. "Während die Fed die Leitzinsen bereits erhöht hat und dies auch weiterhin tun wird, muss die EZB zunächst die Märkte kommunikativ auf einen Kurswechsel einstimmen."

Zu den schärfsten Kritikern von Draghis lockerer Geldpolitik gehört Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der schon im April eine Diskussion über eine Normalisierung der Geldpolitik als legitim bezeichnetet hat und nun für eine Anpassung in der Kommunikation der EZB wirbt: "Die sich festigende wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum und der robuste Ausblick helfen dabei, die Normalisierung in den Blick zu nehmen", sagte er beim Treffen der sieben führenden Industrienationen im italienischen Bari.

EZB-Chef Mario Draghi: "Die Zeit ist noch nicht reif"Bild: picture-alliance/Zumapress/L. Huanhuan

Reformunwillen gefördert

Dennoch wird die EZB in Sachen Zinswende vorsichtig agieren, sagt BayernLB-Stratege Norbert Wuthe. Zwar habe die Wahl des liberalen Euro-Befürworters Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten Erleichterung an den Börsen ausgelöst, doch "eine Zinserhöhung würde die Tragfähigkeit des hoch verschuldeten italienischen Staates gefährden". Das ist die Crux der ultralockeren Geldpolitik der EZB, sagen ihre Kritiker: Während sie Konjunktur und Inflation nur mäßig anschiebt, verschafft sie den hoch verschuldeten Staaten im Süden der Eurozone Zeit und Luft, um Reformen zu verschleppen.

"Es ist höchste Zeit, dass die EZB ein Ende der Niedrigzinspolitik einleitet", sagt der Präsident des Verbandes der Familienunternehmen, Lutz Goebel. "Mit dem brandgefährlichen Ankauf von Staats-und Unternehmensanleihen bereitet die EZB die nächste Finanzblase vor, vor allem finanziert sie den Reformunwillen in Europa."

Experten wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rechnen aber nicht mit einem raschen Kurswechsel. "Die Währungsunion kommt auch bei einem französischen Präsidenten Macron nicht zur Ruhe", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Deshalb werden die Vertreter der hoch verschuldeten Länder im EZB-Rat weiter auf eine lockere Geldpolitik drängen."

Unmut wächst

Vor allem in Deutschland wächst der Unmut über die EZB. Die Banken schlagen Alarm und wälzen die Nachteile der ultralaxen Geldpolitik vermehrt auf die Kunden ab, denen neue Gebühren abverlangt werden. Jüngst betonten die wissenschaftlichen Berater von Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries die Gefahren des EZB-Kurses für das Finanzsystem. Ins selbe Horn blies nun der Internationale Währungsfonds (IWF), der vor einem dauerhaft schwachen Wirtschaftswachstum warnte.

"Die Nachteile der expansiven Geldpolitik - die Verzerrung der Kapitalmärkte, die Verunsicherung der Sparer, die Belastung der Banken - überwiegen zunehmend die Vorteile. Es kommt außerdem zu einer Einkommensumverteilung zwischen Gläubigern und Schuldnern in Europa, eine Nebenwirkung dieser Geldpolitik, die großes Konfliktpotential beinhaltet", sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest in einem Interview der Börsenzeitung. Und der deutsche Sparer  bleibt weiterhin der Dumme: "Die Sparer werden 2017 mit einer deutlich negativen Realverzinsung leben müssen."

 

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