Skepsis beim kostenlosen Nahverkehr
14. Februar 2018Die Überlegungen der Bundesregierung für einen kostenlosen Nahverkehr in von Autoabgasen belasteten Städten stoßen auf viel Skepsis. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verwies vor allem auf die Kostenfrage. "Die Kommunen und Verkehrsbetriebe können es jedenfalls nicht bezahlen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Rhein-Neckar-Zeitung". Die Einnahmen von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr im öffentlichen Nahverkehr würden auch benötigt, um besser zu werden und Angebote auszubauen. Gratis fahren könne höchstens ein langfristiges Zukunftsprojekt werden. Erforderlich seien deutlich mehr Fahrzeuge und Personal.
Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht größere Hürden. Zwar dürfe es bei der Vermeidung von Fahrverboten keine Denkverbote geben, sagte der VKU-Präsident und Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling der Deutschen Presse-Agentur. Er schränkte ein: "Kostenloser Nahverkehr ist eine visionäre Vorstellung, die auf jeden Fall mehrere Testballons braucht. Denn so einfach ist das nicht." Der Bund müsse sagen, wie er so etwas bezahlen möchte. "Zudem stelle ich mir die Frage, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll", meinte Ebling. Mehr Menschen mit dem ÖPNV zu befördern, bedeute, neue Busse und Straßenbahnen zu kaufen und an die infrastrukturellen Gegebenheiten anzupassen. "Kurzfristig lässt sich so etwas nicht umsetzen."
Grüne warnen vor Aktionismus
Die Grünen warfen der Bundesregierung Aktionismus vor. Fraktionsvize Oliver Krischer sagte der dpa, die große Koalition sei beim öffentlichen Verkehr in den Städten seit Jahren weitgehend untätig. "Nun in einem Brief an Brüssel mit Vorschlägen zu kommen, die im Koalitionsvertrag nicht mal erwähnt sind, ist unglaubwürdig." Ein kostenloser ÖPNV sei interessant, löse aber nicht das akute Problem schmutziger Luft. "Um wirklich etwas gegen dreckige Luft zu tun, brauchen wir die blaue Plakette und Verpflichtung zur Nachrüstung von manipulierten Fahrzeugen auf Kosten der Hersteller. Doch dem verweigert sich die Bundesregierung seit Jahren."
Die Bundesregierung erwägt zur Verbesserung der Luftqualität, Länder und Kommunen bei einem möglichen kostenlosen ÖPNV finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen verringert werden. Das geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor.
Viele Fragen offen
Denkbar ist, dass der Bund Städte fördert, die einen kostenfreien Nahverkehr organisieren wollen. Viele Fragen sind jedoch noch offen. Hintergrund der Überlegungen ist zum einen der Druck aus Brüssel. Deutschland droht eine Klage, weil seit Jahren in vielen Städten Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden nicht eingehalten werden - diese gelten als gesundheitsschädlich. Daneben drohen in Deutschland gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge.
Der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn sagte, ein kostenloser Nahverkehr sei zwar eine verlockende Idee. "Doch die plakative Forderung geht am Ziel vorbei." Wer den öffentlichen Verkehr stärken wolle, müsse schnell dafür sorgen, dass Busse und Bahnen im dichteren Takt verkehren und so die heute schon steigende Fahrgastnachfrage befriedigen können. Die Städte bräuchten dringend mehr Kapazität im Nahverkehr. Dafür müsse in neue S-Bahn- und Stadtbahnstrecken, mehr Fahrzeuge und Personal in den Verkehrsbetrieben investiert werden.
Umwelthilfe übt Kritik
Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, kritisierte, der Brief der Bundesminister an die EU-Kommission enthalte an keiner Stelle eine klare Zusage, sondern erneut "wolkige Ankündigungen". Zwar sei ein möglicher kostenloser Nahverkehr ein richtiger Schritt. "Nur muss dazu auch die über Jahre kaputtgesparte Infrastruktur passen." So betrage das Alter der Busse in Deutschland im Durchschnitt über neun Jahre. Entsprechend verheerend sei die Qualität der Abgasreinigung. Die Deutsche Umwelthilfe führt zahlreiche Prozesse, damit Städte Schadstoff-Grenzwerte einhalten.
ul/hb (dpa)