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Der G20-Gipfel und das Grundgesetz

4. Juli 2017

Das im Grundgesetz garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit steht beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Hamburg vor einer schweren Belastungsprobe. Eine Bestandsaufnahme von Marcel Fürstenau.

Deutschland G20 Außenministertreffen in Bonn Proteste
Vorboten des G20-Protests im Februar während des Außenministertreffens in BonnBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

"Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." So beginnt Artikel 8 des Grundgesetzes. Es folgt der für den am Freitag in Hamburg beginnenden G20-Gipfel entscheidende Satz: "Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden." Es handelt sich also um kein absolutes, schrankenloses Grundrecht. Das beginnt bei Veranstaltungen außerhalb geschlossener Räume schon damit, dass sie bei der Polizei angemeldet werden müssen.

Wie die Versammlungsfreiheit praktisch umgesetzt werden soll, ist im "Gesetz über Versammlungen und Aufzüge" geregelt. Es besteht aus 33 Paragrafen. Der Streit über die vermeintlich richtige Anwendung des 1953 vom Bundestag beschlossenen und zuletzt 2008 geänderten Gesetzes hat eine lange Tradition. Gerichtliche Auseinandersetzungen gehören zum Alltag. Veranstalter wehren sich oft gegen Auflagen, die den Zeitpunkt der Versammlung ebenso betreffen können wie die Route, auf der demonstriert werden soll.

Umstrittene "Allgemeinverfügung" der Hamburger Polizei

Es kann aber auch um die Form des Protests gehen - ein Aspekt, der in Hamburg schon seit Wochen umstritten ist. Denn die Polizei hat für den G20-Gipfel am 7./8. Juli im Rahmen einer "Allgemeinverfügung" an beiden Tagen eine Fläche von 38 Quadratkilometern für Versammlungen jeglicher Art gesperrt. Das Gebiet erstreckt sich vom Flughafen im Norden der Stadt bis zum Veranstaltungsort im Zentrum. Begründet wird diese Einschränkung mit den "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zu erwartenden Blockaden auf den Fahrtstrecken, die für den G20-Gipfel vorgesehen sind.

Protest auf der Alster mitten in Hamburg am vergangenen Wochenende - am 7./8. Juli ist auch das Wasser Sperrzone Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schrader

Das könnte aus Sicht der Polizei zu einer "unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben der Staatsgäste, Versammlungsteilnehmer, Polizeikräfte und unbeteiligten Dritten" führen. Zugleich würde der Ablauf des G20-Gipfels gefährdet werden. In ihrer Analyse der Gefährdungslage verweist die Polizei auf "Erfahrungen aus vergleichbaren Veranstaltungen" wie dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007, dem Nato-Gipfel zwei Jahre später in Baden-Württemberg, den Blockupy-Demonstrationen 2014 oder die Eröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) 2015 in Frankfurt am Main.

Die knifflige Frage nach der Verhältnismäßigkeit

Der Berliner Staatsrechtler Christian Pestalozza hält Einschränkungen der Versammlungsfreiheit grundsätzlich für zulässig, wenn sie sich aus "Überlegungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ergeben. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen lasse sich nicht pauschal mit ja oder nein beantworten, sagt der emeritierte Professor im Gespräch mit der Deutschen Welle. So eine großflächige Sperrung wie in Hamburg könnte verhältnismäßig sein, "wenn für die Demonstranten und die erwartete Zahl der Teilnehmer genügend Raum bleibt".

Telefon-Interview Elke Steven - MP3-Stereo

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Davon kann aus Elke Stevens Sicht keine Rede sein. Die Grundrechte-Referentin im Komitee für Grundrecht und Demokratie wirft der Stadt Hamburg vor, dass sie "seit Monaten vor den vielen gewaltbereiten Autonomen warnt". Das stimme so nicht und werde "nie richtig belegt", kritisiert die Soziologin am Telefon gegenüber der DW. Gefahrenabwehr sei natürlich notwendig, fügt sie hinzu. Aber die müsse auf "tatsächlichen Anhaltspunkten" und nicht nur auf Vermutungen basieren, "was alles passieren könnte".

Warum Gerichte oft gegensätzlich entscheiden

Gerichtliche Auseinandersetzungen über den Ablauf von Versammlungen während des G20-Gipfels und an den Tagen davor gibt es schon seit Wochen. Die Entscheidungen der verschiedenen Ebenen - vom Verwaltungs- bis zum Verfassungsgericht - könnten unterschiedlicher nicht sein. So wurde ein geplantes Protest-Camp zunächst verboten, dann aber doch genehmigt. Staatsrechtler Pestalozza räumt ein, dass die unterschiedliche Rechtsprechung vor allem für Laien oft schwer nachvollziehbar sei. Das liege an der mitunter schwierigen Fakten- und Rechtslage.

Interview Christian Pestalaozza - MP3-Stereo

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In Eilverfahren, wenn also wegen eines bevorstehenden Ereignisses schnell entschieden werden muss, könne nicht "gründlich geprüft" werden. Oft handelt es sich dabei um vorläufige Entscheidungen, die notfalls auch nachts innerhalb einer Stunde getroffen werden müssen. "Dann kann man sich schon vorstellen, dass das ganz unterschiedlich gewichtet wird", sagt Pestalozza. Dem  Bundesverfassungsgericht attestiert er, im Lauf der Jahrzehnte "sehr versammlungsfreundlich" entschieden zu haben. Die Richter in Karlsruhe hätten sich immer darauf berufen, dass die Versammlungsfreiheit eines der grundlegenden Grundrechte des Grundgesetzes sei - ein "Kernstück der Demokratie".

Demos gegen ein geplantes Atomkraftwerk - und ihre Folgen 

Als Meilenstein der Rechtsprechung gilt in diesem Zusammenhang der sogenannte Brokdorf-Beschluss aus dem Jahr 1985. Während der Planungs- und Bauphase des Atomkraftwerks nordwestlich von Hamburg gab es seit 1976 immer wieder teilweise gewalttätige Demonstrationen. Anfang 1981 bestätigte das Oberverwaltungsgericht ein mehrtägiges Demonstrationsverbot. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde von Einzelpersonen und Bürgerinitiativen wurde in deren Sinne entschieden.

Brokdorf 1976: Eine anfangs friedliche Demonstration mündete in Gewalt zwischen Polizei und Atomkraftgegnern Bild: picture-alliance/dpa/W. Baum

Die Entscheidung kann als Anleitung für den Umgang mit absehbar schwierigen, womöglich gewalttätigen Versammlungen gelesen werden. So wird eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Veranstaltern von Protestaktionen und Behörden angemahnt. Und es gelten hohe Hürden für die Gefährdungsprognose. Vermutungen reichen demnach nicht aus. Als positives Beispiel für eine gelungene Kooperation wird die Bonner Friedensdemonstration 1981 mit mehreren hunderttausend Teilnehmern genannt.

Unterschiedliche Interpretationen des Brokdorf-Beschlusses

Hamburg - eine Festung der Sicherheit

04:01

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Auf dieses Beispiel und den Brokdorf-Beschluss verweist auch Elke Steven, wenn sie über den bevorstehenden G20-Gipfel spricht. "Schon seit Wochen und Monaten wird hier ein Ausnahmezustand produziert", meint die Bürgerrechtlerin, die zum Autoren-Team des jährlich veröffentlichten Grundrechtereports gehört. Staatsrechtler Christian Pestalozza hingegen geht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes - unabhängig vom Streitfall Hamburg - mitunter zu weit. Es erwecke beim Artikel 8 des Grundgesetzes den Eindruck, dass der sich Versammelnde ein gewisses Wahlrecht habe, "wann und wo er eigentlich protestieren möchte". Das hält Pestalozza für eine "Übertreibung".   

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