Kompromiss bei der Zuwanderung in Sicht?
4. Februar 2004Möglicherweise kann Kanzler Gerhard Schröder (SPD) demnächst ein weiteres Reformvorhaben als erledigt abhaken. Bei dem seit Jahren umstrittenen Zuwanderungsgesetz deutet sich eine Einigung mit CDU und CSU an. In der kommenden Woche werden sich die rot-grüne Koalition und die Oppositionsparteien im kleinen Kreis zusammensetzen, mit der festen Absicht, einen Kompromiss auszuhandeln. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz ist optimistisch: "Ich glaube, alle Beteiligten wissen auch: Es ist nicht so schwer, sich zu einigen, wenn man will."
Wille zur Einigung: Diese Mahnung richtet die SPD nicht etwa nur an die Opposition, sondern auch an den eigenen Koalitionspartner, die Grünen. Denen erscheint, im Unterschied zu den Sozialdemokraten, der Preis für die bevorstehende Einigung mit CDU und CSU nämlich ziemlich hoch. Was einst das modernste Zuwanderungsgesetz Europas werden sollte, ist nach zweijährigem Hickhack nur noch ein Torso.
Der Wille der Union
Der wichtige Paragraph 20, der Zuwanderung zum deutschen Arbeitsmarkt nach einem Punkte-Auswahlsystem ermöglichen sollte, wie in Kanada, Australien oder Neuseeland, wird gestrichen. Andernfalls wäre die Union überhaupt nicht mehr an den Verhandlungstisch gegangen, sagt einer ihrer Verhandlungsführer, Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU): "Wir sind nicht bereit, über das Auswahlsystem nach Punkten zu reden, denn dass wir jetzt ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze neue Leute ins Land holen, kann nicht richtig sein."
Vor allem müssten Hunderttausende bereits im Land befindliche Ausländer besser integriert werden, bei denen die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch sei wie unter Deutschen, heißt es bei der Union. Auf den deutschen Arbeitsmarkt sollen aus ihrer Sicht nur Höchstqualifizierte, die in Deutschland einen mit etwa 5000 Euro oder höher dotierten Job nachweisen können. Außerdem sei auch der Selbstständige willkommen, der Arbeitsplätze schafft, aber natürlich nicht der "russische Bordellbetreiber", sagt Beckstein. Den seit Jahrzehnten bestehenden Anwerbestopp für ausländische Arbeiter, der mittlerweile durch 27 Ausnahmeregelungen durchlöchert ist, will die Union nicht generell aufheben.
Entgegenkommen beim humanitären Teil
Etwas Entgegenkommen signalisieren CDU und CSU im humanitären Teil des Gesetzentwurfes. Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden dürfen, könnten nach längerer Zeit, statt immer wieder um "Duldung" zu bitten, eine ordentliche Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Auch eine "Härtefallregelung" sei möglich und sogar eine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge.
Dagegen möchte die Union keinesfalls das Asylrecht für Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung im neuen Gesetz erwähnen. Die Angelegenheit sei in der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt, es gebe keine Schutzlücke. Eine Meinung, die auch der sozialdemokratische Bundesinnenminister Otto Schily teilt, nicht aber die Grünen.
Grüne Spitze uneins
Bei den Grünen hat der demonstrative Einigungswille von SPD und Union Eindruck hinterlassen. Der eine Teil der Doppelspitze der Partei, nämlich Reinhard Bütikofer, hat öffentlich bereits das Punkte-Auswahlsystem aufgegeben, wie kurz zuvor der sozialdemokratische Bundesinnenminister. Die andere Hälfte der Grünen-Doppelspitze, Angelika Beer, zeigt sich dagegen noch kämpferisch.
Welche Ansage es zum Schluss gibt, ist offen. Die Grünen sind durch den demonstrativen Einigungswillen von Union und SPD in der Klemme. Das Punkte-Auswahlsystem für Arbeitsmigranten und auch das Asylrecht für nichtsstaatlich Verfolgte müßten eigentlich im Zuwanderungsgesetz drin stehen. So lautet der Auftrag vom jüngsten Grünen-Parteitag in Dresden. Sollte beides bei den bevorstehenden Verhandlungen endgültig unter den Tisch fallen, droht Ärger in der eigenen Partei. Sollte aber ein Kompromiss zum Zuwanderungsgesetzes an den Grünen scheitern, droht Ärger mit Kanzler und Innenminister.