Kompromisslos
31. März 2010Benjamin Netanjahu ist ein Mann, der ungern nachgibt. Seit einem Jahr bestimmt er die Geschicke der israelischen Politik und trifft Entscheidungen, die sich nicht nur auf Israel, sondern auf die gesamte Region auswirken. Viel Respekt hat er sich im vergangenen Jahr nicht verschafft - im Gegenteil. "Außenpolitisch hat Netanjahu gegenüber dem Westen viel Kredit verspielt", urteilt André Bank, Nahost-Experte am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Kein Wunder: Der israelische Ministerpräsident zeigt sich einerseits zögerlich, andererseits ziemlich kompromisslos. Gerade wenn es um den Konflikt mit den Palästinensern geht, macht der 60-jährige Netanjahu so gut wie keine Zugeständnisse.
Koalition mit den Rechten
Das zeigte sich schon während seiner Regierungsbildung. Tagelang warb der konservative Likud-Chef um eine Koalition mit der Kadima. Die von Zipi Livni geführte liberale Partei hatte bei der Parlamentswahl im Januar 2009 einen Sitz mehr erhalten als der Likud. Doch Livnis klares Eintreten für eine Zwei-Staaten-Lösung wollte Netanjahu nicht mittragen. Nach langem Hin und Her entschied sich Netanjahu schließlich für eine Koalition mit mehreren kleineren Partnern: unter anderen mit der ultra-rechten Partei Israel Beitenu von Avigdor Lieberman, der Arbeitspartei von Ehud Barak und der orthodoxen Shas-Partei. "Mit dieser Regierungskoalition ist eine Zwei-Staaten-Lösung nicht durchzusetzen", meint André Bank. "Wenn Netanjahu mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ins Gespräch kommen wollte, müsste er auf die Kadima zugehen." Genau das will Netanjahu aber offenbar vermeiden. Ohne eigene Mehrheit ist der Ministerpräsident auch auf rechte Parteien in der Knesset angewiesen und macht ihnen Zugeständnisse - zum Beispiel mit dem anhaltenden Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland und mit dem Ausbau religiöser Schulen.
Sicherheit vor Frieden
Ganz oben auf der Agenda steht für Netanjahu die Sicherheitspolitik - ein Grund, warum der Gazastreifen auch ein Jahr nach Ende der israelischen Offensive gegen die Hamas noch immer komplett abgeriegelt ist: Die israelische Regierung befürchtet, dass die Palästinenser Hilfsgüter und Baumaterial nicht zum Wiederaufbau ihrer Häuser, sondern zum Waffenbau verwenden würden. Die Sicherheit ist Netanjahu - wie vielen Israelis, die von der Politik der Annäherung der Neunziger Jahre enttäuscht sind - wichtiger als der Wunsch, mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Im Juni 2009 sprach sich Netanjahu zwar für die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates aus. Doch die Bedingungen, die er daran knüpfte, sind für die Palästinenser inakzeptabel: zum Beispiel, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben müsse - eine Position, die bei weiten Teilen der israelischen Bevölkerung Rückhalt findet. "Das, was Netanjahu tut, führt eher zu einer Ein-Staat-Lösung", sagt Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem, im Interview mit DW-WORLD. "Aber ein jüdischer Staat kann nicht existieren, wenn dort etwa 50 Prozent der Bevölkerung Araber sind - vor allem nicht, wenn sich diese Palästinenser oder Araber benachteiligt fühlen."
Kein vollständiger Baustopp
Auf amerikanischen Druck hin verhängte Netanjahu zu Beginn dieses Jahres zwar einen Baustopp für die israelischen Siedlungen im Westjordanland. Der gilt allerdings nur für zehn Monate und nicht für Ostjerusalem. Gerade mit Blick auf die viel kritisierte Siedlungspolitik gilt der israelische Ministerpräsident als Hardliner. Unter Ministerpräsident Ariel Scharon war Netanjahu 2005 sogar vom Amt des Finanzministers zurückgetreten - aus Protest gegen dessen Siedlungspolitik. Scharon hatte nach langem Zögern den einseitigen Abzug israelischer Siedler aus dem Gazastreifen durchgesetzt. Dem Nahost-Friedensplan von 2003 zufolge sollte Israel den Siedlungsbau komplett einfrieren und alle nach März 2001 errichteten Außenposten von jüdischen Siedlern im Westjordanland abreißen. Beide Punkte hat Israel bislang nicht umgesetzt.
Protest gegen Scharon
Netanjahu hatte das Amt des Ministerpräsidenten von 1996 bis 1999 schon einmal inne. Nach einer Reihe von palästinensischen Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten war er als Nachfolger von Shimon Peres gewählt worden. Im Gegensatz zu Peres vertraute Netanjahu nicht auf den guten Willen von Palästinenserpräsident Jassir Arafat und machte Fortschritte im Friedensprozess davon abhängig, dass die Palästinenser ihren Verpflichtungen nachkamen, was für Netanjahu bedeutete: den Terror zu bekämpfen. Einen Baustopp von israelischen Siedlungen in den Palästinensergebieten ließ er damals wieder aufheben. Auch heute fordert er das Recht "auf natürliches Wachstum" für die jüdischen Siedlungen im Westjordanland.
Angespannte Beziehungen
Mit dieser Politik steht Netanjahu nicht nur den Friedensgesprächen mit den Palästinensern im Wege. Auch die enge Beziehung zu den USA ist deutlich belastet. "Die Amerikaner haben die Taktik der israelischen Regierungen, auf der einen Seite etwas zu versprechen und auf der anderen Seite etwas nicht einzuhalten, wahrscheinlich satt", sagt Moshe Zimmermann. "Dabei war gerade Netanjahu immer für die guten Beziehungen zu Amerika und hat immer sehr darauf geachtet, wie Amerika reagiert." Ein Jahr nach seinem Amtsantritt gilt Netanjahus Verhältnis zum US-Präsidenten Barack Obama allerdings als zerrüttet. "Der Druck, den Obama auf den israelischen Ministerpräsidenten ausübt, wird nicht weniger werden", sagt André Bank. "Wahrscheinlich kann sich Netanjahu noch ein Jahr lang durchwursteln wie bisher. Dann muss er sich vermutlich entscheiden, ob er sich weiter der starken Siedlerlobby beugt oder eine Kehrtwende macht."
Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Anna Kuhn-Osius