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Konflikt gelöst? Ukraine stärkt Antikorruptionsbehörden

31. Juli 2025

Nach landesweiten Protesten und Kritik aus Europa hat das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Unabhängigkeit von zwei Antikorruptionsbehörden wiederherstellt. Ist die Krise damit abgewendet?

Blick in den Plenarsaal des ukrainischen Parlaments
Blick in den Plenarsaal des ukrainischen ParlamentsBild: Ukrinform/dpa/picture alliance

Im Eiltempo zog die ukrainische Führung am Donnerstag einen vorläufigen Strich unter die bisher größte innenpolitische Krise seit der russischen Vollinvasion vor drei Jahren. Mit 331 Ja-Stimmen votierte das Parlament für den von Präsident Wolodymyr Selenskyj eingebrachten Gesetzentwurf, der die Unabhängigkeit von zwei Antikorruptionsbehörden wiederherstellt. Gegenstimmen und Enthaltungen gab es keine. Die Sitzung wurde live übertragen - eine Seltenheit in Kriegszeiten. Der Präsident unterzeichnete das Dokument binnen weniger Stunden, es wird nun veröffentlicht und tritt in Kraft.

Vorausgegangen waren neun Tage, in denen die Ukraine am Rande einer politischen Krise balancierte. Tausende, vor allem junge Ukrainerinnen und Ukrainer demonstrierten in mehreren Städten, auch am Tag der Abstimmung. Die Europäische Union kritisierte die Entmachtung der Korruptionsermittler und drohte laut Medienberichten mit dem Einfrieren von Hilfen in Milliardenhöhe - auch ein Novum seit der russischen Invasion. Die Bundesregierung sprach ebenfalls klare Sprache. "Wir werden dieses Gesetz eingehend prüfen und den weiteren Prozess aufmerksam verfolgen", so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf DW-Anfrage am Tag vor der Abstimmung im Parlament. Die ukrainische Führung wirkte überrascht.

Parlament in Kyjiw beschließt neues Anti-Korruptionsgesetz

04:24

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Behörden mit Symbolkraft

Auslöser war ein am 22. Juli verabschiedetes Gesetz, das die Unabhängigkeit des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Sonderstaatsanwaltschaft (SAP) beschränkte. Beide Behörden beschäftigen sich mit Korruption auf höchster Ebene: Im Fokus stehen Richter, Minister, Parlamentsabgeordnete. Der bisher brisanteste Fall: Korruptionsverdacht in Millionenhöhe gegen den inzwischen abgesetzten Vorsitzenden des Obersten Gerichts Wsewolod Knjasew. Das umstrittene Gesetz unterstellte NABU und SAP dem vom Präsidenten ernannten Generalstaatsanwalt. Die Begründung: Verdacht auf russische Spionage in Ermittlerkreisen. Doch das hat nicht alle überzeugt. Kritiker vermuteten ein anderes Motiv: Korruptionsverdacht und Ermittlungen im Umkreis des Präsidenten, wie beispielsweise gegen den Ex-Vizepremier Olexij Tschernyschow.

 

Protest vor dem ukrainischen Parlament gegen ein Gesetz zur Schwächung von AntikorruptionsbehördenBild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance

Die Tragweite der Proteste hat mit der jüngsten Geschichte der Ukraine zu tun. Die beiden Antikorruptionsbehörden NABU und SAP wurden 2015 gegründet und gehörten nach dem prowestlichen Aufstand 2014 zu den Leuchtturmprojekten. Sie wurden auch auf Druck des Westens gegründet und galten als Voraussetzung für Visaerleichterungen für die Ukraine seitens der EU.

Das neue Gesetz stellt die Autonomie von NABU und SAP nun wieder her. Auf Wunsch des Präsidenten wurde auch die Abwehr gegen Spionage verstärkt. Ermittler werden regelmäßig am Lügendetektor überprüft.

Image von Selenskyj beschädigt

Politische Beobachter in der Ukraine reagierten mit Erleichterung auf das neue Gesetz. Wolodymyr Horbatsch etwa, Direktor des Instituts für Transformation von Nordeurasien, begrüßte gegenüber der DW die Rückkehr von "Dynamik" in die ukrainische Politik. Das Parlament wurde für mangelnde Transparenz in Kriegszeiten kritisiert.

Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Sitzung im ukrainischen ParlamentBild: Vadym Sarakhan/AP Photo/picture alliance

Auch die EU reagierte positiv. Die Unterschrift Selenskyjs sei ein erfreulicher Schritt, kommentierten am Donnerstag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa in einer gemeinsamen Nachricht. Das neue Gesetz "löst Schlüsselprobleme der Unabhängigkeit" der beiden betroffenen Organe, sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission in Brüssel. Man werde den endgültigen Text prüfen.

Doch manche zweifeln, dass damit die Krise endgültig vorbei ist. Der Fall habe Probleme im Kampf gegen Korruption sichtbar gemacht, die weit über NABU und SAP hinausgehen, sagen Beobachter in der Ukraine und im Ausland. Widersprüche in der ukrainischen Gesetzgebung würden bestehen bleiben - beispielsweise die Möglichkeit, mit einer Kaution der Haft zu entgehen, um ins Ausland zu flüchten.

Vor allem das Image des ukrainischen Präsidenten scheint beschädigt. Selenskyj habe den wohl größten innenpolitischen Fehler seit der russischen Invasion gemacht, so eine verbreitete Analyse. Seine Partei "Diener des Volkes" sei geschwächt, sagte der Politikexperte Wolodymyr Fesenko in einem Interview mit dem Kyjiwer Sender "Radio NV". Das neue Gesetz habe einen größeren Schaden verhindert, doch es werde dauern, die Risse zu kitten.